von Sabine Enzinger/Tilo Arnhold
Wien/Zürich/Halle. Der Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar. Dies gilt besonders für das Überleben von Arten und Lebensräumen. Die Komplexität der damit verbundenen Fragestellungen und die rasanten Wissensfortschritte machen es immer schwieriger, das Themenfeld zu überblicken. In einem neuen Buch liefern erstmals 74 ExpertInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz eine umfassende Darstellung und Bewertung des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf die Biodiversität in Mitteleuropa.
Die AutorInnen dokumentieren das Ausmaß der drohenden Gefährdung von Arten und Lebensräumen. Das Buch „Biodiversität und Klimawandel - Auswirkungen und Handlungsoptionen für den Naturschutz in Mitteleuropa" ist als Gemeinschaftswerk des österreichischen Umweltbundesamtes, des deutschen Bundesamtes für Naturschutz, des Schweizer Bundesamtes für Umwelt, des Schweizer Bundesamtes für Meteorologie, des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und des oberösterreichischen Umweltressorts im Springer Verlag erschienen.
Das Fazit der AutorInnen: Viel mehr als bisher muss getan werden, um den negativen Folgen des Klimawandels auf Arten und Lebensräume zu begegnen oder diese zu verhindern. In den nächsten Jahrzehnten wird der Klimawandel einen enormen Verlust an Biodiversität auslösen. Denn viele Arten werden künftig kaum mehr geeignete Klimabedingungen vorfinden. Bereits heute seltene Pflanzen und Tiere wie das Steinschmückel, eine Gebirgspflanze, und das Alpen-Schneehuhn könnten völlig von der Bildfläche verschwinden. „Der rasch fortschreitende Klimawandel überfordert die Anpassungsmöglichkeiten der Natur bei weitem", erläutert Dr. Franz Essl vom Umweltbundesamt und einer der beiden Hauptautoren des Buches. „Wir wünschen uns, dass das Buch zu konsequentem und frühzeitigem Handeln beiträgt", so Essl weiter. „Unsere Lebensgrundlage ist eine intakte Umwelt mit ihrer Biodiversität und die gilt es zu erhalten. Die Verantwortung für die klimatische Veränderung liegt in einem komplexen Wechselspiel zwischen global und lokal, zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Schlussendlich hat aber jeder und jede Einzelne viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten", so der oberösterreichische Landesrat für Umwelt, Rudi Anschober.
Folgen für Wirtschaft & Gesellschaft
Der Klimawandel wird weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben: „Die Landwirtschaft wird sich auf einen verstärkten Schädlingsbefall, etwa durch den Maiszünsler einstellen müssen", so der zweite Hauptautor Dr. Wolfgang Rabitsch vom Umweltbundesamt. Manche wichtige Kulturpflanzen wie Weizen und Roggen werden künftig nicht mehr in dem Ausmaß angebaut werden können, wie heute, weil es zu heiß oder zu trocken sein wird. Die Forstwirtschaft, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Österreich, wird mit einem vermehrten Auftreten von Schädlingen, wie Borkenkäferarten und einer stark erhöhten Mortalität wichtiger Waldbäume wie der Fichte, konfrontiert sein. Aber auch die Ausbreitung eingeschleppter, für den Menschen relevanter Krankheitsüberträger, wie Stech- und Sandmücken, wird durch den Klimawandel begünstigt.
Auswirkungen auf den Naturschutz
Der Naturschutz steht angesichts der wenigen intakten Lebensräume und begrenzter finanzieller Mittel vor großen Herausforderungen. Zu den traditionellen Naturschutzzielen wie dem Schutz von Arten und Lebensräumen treten in Folge des Klimawandels neue Ziele hinzu: eine stärkere Ausrichtung auf den Schutz von Biodiversitätsfunktionen und eine bessere Vernetzung von Schutzgebieten Auch das regelmäßige Monitoring einer sich ändernden Biodiversität erhält gewinnt durch den Klimawandel zunehmend an Bedeutung. „Wir stehen vor großen Veränderungen. Die Verschiebung von Lebensräumen, der Verlust von Populationen und das Auftreten neuer Arten bis hin zur Entstehung neuer Ökosysteme sowie neue Prozesse und Wechselwirkungen machen auch weitere Forschung notwendig", so die Hauptautoren.
Handlungsoptionen im Naturschutz
Alle AutorInnen sind sich einig: Gerade weil manche der durch den Klimawandel ausgelösten Vorgänge kaum mehr aufzuhalten sind, ist es umso wichtiger vorausschauend und vorsorgend zu handeln: Eine wesentliche Voraussetzung, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen, ist ein ambitionierter Klimaschutz auf nationaler und internationaler Ebene. Dazu kann ein besserer Schutz von Arten und Lebensräumen wesentlich beitragen. Denn viele Lebensräume wie Wälder und Moore entziehen der Atmosphäre Kohlendioxid, speichern dieses in der Biomasse und tragen so zum Klimaschutz wesentlich und kostengünstig bei. Ergänzt werden muss dies durch eine stärkere Berücksichtigung von Biodiversitätsbelangen in der Landnutzung und Raumplanung unter Ausnutzung möglicher Synergieeffekte. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung, die Extensivierung von Grünland und eine konservierende Bodenbearbeitung haben positive Auswirkungen auf die Treibhausgasbilanz. Viele der bewährten Naturschutz-Maßnahmen werden an Bedeutung gewinnen, wie der Schutz und die Renaturierung von Feuchtgebieten, der Schutz alter Wälder und die Vernetzung von Biotopen, um die Ausbreitung von infolge des Klimawandels wandernden Arten zu unterstützen. Eine intensive Zusammenarbeit von Naturschutz und anderen Sektoren und die Begrenzung zusätzlicher Stressfaktoren sind jedenfalls dringend geboten.
Beitrag Hallenser Wissenschaftler
An einigen der Kapitel haben auch Autoren des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Halle/S. mitgearbeitet. So hat z.B. das Autorenteam um Ingolf Kühn und Sven Pompe aufgezeigt, dass nach Modellberechnungen ein großer Teil der Pflanzenarten unter pessimistischen Klimaszenarien stark zurückgehen, während die Artenzahlen bei optimistischen Szenarien und bei Einhaltung des 2°C-Ziels mehr oder weniger konstant bleiben können. Das Team um Oliver Schweiger konnte aufzeigen, dass schon erste Änderungen in ökologischen Netzwerken z.B. bei Vögeln und ihrer Nahrung beobachtet wurden und dass es in Zukunft zur Entkoppelung zwischen dem Auftreten von Tieren und ihren Nahrungsquellen bzw. Blüten und ihren Bestäubern kommen kann.
Publikation:
Essl, Franz; Rabitsch, Wolfgang (Hrsg.):
Biodiversität und Klimawandel. Auswirkungen und Handlungsoptionen für den Naturschutz in Mitteleuropa.
2013, XIV, 458 S. 188 Abb. in Farbe. ISBN 978-3-642-29691-8. Springer Verlag
http://www.springer.com/978-3-642-29691-8
Kontakt
Mag. Sabine Enzinger, Pressestelle Umweltbundesamt
E: sabine.enzinger@umweltbundesamt.at, mobil: 0664/800135488
http://www.umweltbundesamt.at/aktuell/presse/
http://www.umweltbundesamt.at/aktuell/presse/lastnews/news2013/news_130618/
Weitere Infos zu ausgewählten Kapiteln:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Dr. Ingolf Kühn/ Dr. Oliver Schweiger
Tel. 0345-558-5311, -5306
http://www.ufz.de/index.php?de=821
http://www.ufz.de/index.php?de=818
oder via
Tilo Arnhold / Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Tel.: 0341-235-1635, -1630
http://www.ufz.de/index.php?de=640
Links
Biodiversität und Klimawandel
http://www.ufz.de/index.php?de=19771
CLIMIT - CLimate change impacts on Insects and their MITigation
http://www.climit-project.net/
EU-Studie: Klimawandel hat Europa bereits spürbar verändert. (Pressemitteilung vom 23. November 2012):
http://www.ufz.de/index.php?de=31034
Vögel und Schmetterlinge "flattern" dem Klimawandel hinterher. (Pressemitteilung vom 9. Januar 2012):
http://www.ufz.de/index.php?de=30100
UFZ-Arbeitsgruppe "Klimawandel"
http://www.ufz.de/index.php?de=18064
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
http://www.ufz.de/
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie sowie Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 34.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894). http://www.helmholtz.de/