Hochbegabungspresse
„Paket der Pakte – Weiterentwicklung des deutschen
Wissenschaftssystems“
Bonn,
12.6.2013
Herausforderungen
für das deutsche Wissenschaftssystem
Wissenschaft
und Forschung sind die Grundlagen für nachhaltige gesellschaftliche
Entwicklung, Beschäftigung und künftigen Wohlstand. Investitionen in Forschung
und Entwicklung (F&E) sind der Schlüssel für gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Fortschritt.
Eine der
Voraussetzungen für die Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems
ist seine arbeitsteilige Struktur aus Hochschulen, Forschungsorganisationen,
Förderorganisationen und Industrieforschung, die das produktive Miteinander von
erkenntnisgeleiteter, problemorientierter und anwendungsbezogener Forschung
ermöglicht. Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen leisten mit ihren
ausdifferenzierten, spezifischen Funktionen und Strukturen unverzichtbare
Beiträge für den Erfolg des deutschen Wissenschaftssystems und für die
Sichtbarkeit wissenschaftlicher Exzellenz im Ausland. Das differenzierte System
Deutschlands sowie seine prioritäre Finanzierung gelten derzeit international
als vorbildlich. Die Forschungslandschaft hat dabei insbesondere von dem
politischen Engagement in den letzten Jahren und den entsprechenden Pakten
enorm profitiert. Diese Leistungsfähigkeit gilt es gemäß dem Prinzip einer
kritischen Kontinuität zu erhalten und zu fördern.
Dezidierte
wissenschaftspolitische Schwerpunktsetzungen sind die Voraussetzung, um das
Wissenschaftssystem für die Zukunft zu stärken:
- Positive finanzielle
Rahmenbedingungen für die Wissenschaft
- Verbesserung der
Karriereperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses
- Ausbau der Kooperationen
innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems wie auch international
- Ausbau und Förderung von
Forschungs- und Informationsinfrastrukturen, Weiterentwicklung von
Urheberrecht und Open Access
A.
Positive finanzielle Rahmenbedingungen für die Wissenschaft
Der Ausbau
der Finanzvolumina insbesondere im Bereich der Wissenschaft war in den
vergangenen Jahren ein Erfolg und muss weiter geführt werden. Nachdem das Ziel
von Lissabon, 3% des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung
auszugeben, fast erreicht ist (2011: 2,88%), sollte ein neues Ziel vereinbart
werden, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Das neue Ziel
muss sich dabei künftig an den Spitzenwerten der OECD-Ausgaben für Forschung
und Entwicklung orientieren und sollte mindestens 3,5 Prozent des BIP
betragen.
Hingegen
haben die Finanzierungsstrukturen in der Wissenschaftslandschaft, insbesondere
bei den Hochschulen, mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Vor diesem
Hintergrund sollte die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Weiterentwicklung
der Finanzierungsstrukturen sowie die Bedingungen der Mittelverwendung in den
einzelnen Einrichtungen gelegt werden.
In diesem
Zusammenhang war die Verabschiedung des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes durch
den Bund ein wichtiger Schritt. Nun ist dafür zu sorgen, dass analoge
Regelungen in den Ländern Anwendung finden.
Nach wie vor
erstrebenswert ist eine Änderung des Grundgesetzes mit dem Ziel,
Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bund und Ländern auch bei der
institutionellen Förderung von Hochschulen zu schaffen. Eine Stärkung des
finanziellen Engagements des Bundes für die Hochschulen ist erforderlich.
Eine stärkere
Bundesbeteiligung bei der Hochschulfinanzierung muss wissenschaftsgeleitet,
zielgerichtet und für die Entwicklung des Gesamtsystems nachhaltig gestaltet
werden. Sie muss die bisherigen Forschungsförderstrukturen sinnvoll ergänzen.
Das ‚Paket
der Pakte‘ hat eine positive Dynamik im Wissenschaftssystem erzeugt, die es
auch im Rahmen der Forschungsförderstrukturen der Zukunft weiter zu fördern
gilt. Dabei ist insbesondere auf eine sorgfältige Abstimmung der jeweils
spezifischen Funktionen und Effekte zu achten. Die Weiterentwicklung der
Finanzierungsstrukturen darf weder zu Lasten der Hochschulen noch der
Außeruniversitären Forschungseinrichtungen gehen. Eine starke nationale
Förderlandschaft ist die notwendige Voraussetzung für einen starken Beitrag
Deutschlands zum europäischen Forschungsraum und für eine erfolgreiche
Beteiligung an den europäischen Förderprogrammen.
- Stärkung der Hochschulen und
Sicherung ihrer Grundfinanzierung
Hochschulen
sind das Rückgrat der Wissenschaftslandschaft. Es liegt daher im Interesse des
gesamten Wissenschaftssystems, auch die Finanzierungsbedingungen der
Hochschulen zu verbessern. Insbesondere ist eine verbesserte Grundfinanzierung
der Hochschulen sowohl im Bereich der Forschung als auch in der Lehre sowie bei
der Förderung des Hochschulbaus sicher zu stellen. Auf diese Weise können die
ungewollten Auswirkungen der zunehmenden Drittmittelabhängigkeit der
Universitäten aufgefangen werden. Parallel muss sich das Forschungsfördersystem
in Richtung einer Vollkostenfinanzierung weiterentwickeln.
Gezielte
Förderung von Kooperationen ist eine essentielle Ergänzung zur Förderung der
einzelnen Teile des Wissenschaftssystems (vgl. unten).
Die Stärkung
der Hochschulen muss auf vier Ebenen erfolgen:
Hochschulen
brauchen eine auskömmliche Finanzierung, die eine grundständig finanzierte
Forschung erlaubt. So effektiv die wettbewerbliche Projektförderung für die
Entwicklung der Hochschulforschung auch ist, so kann sie nur auf Basis einer
soliden Grundfinanzierung erfolgreich sein. Flankierend müssen die Hochschulen
deutlich höhere Overhead-Mittel für eingeworbene Drittmittel aus öffentlichen
Quellen erhalten, um so die indirekten Projektkosten abdecken zu können.
Der
Hochschulpakt unterstützt die Hochschulen bei ihrem Auftrag der akademischen
Breitenbildung, deckt in seiner momentanen Ausgestaltung jedoch nicht die
realen Kosten eines Studienplatzes ab und wird nicht von allen Ländern
ausreichend gegenfinanziert. Neben den knappen Mitteln bei steigenden
Anfängerzahlen im Bachelorbereich wird sich in den nächsten Jahren das Problem
der stark steigenden Anfängerzahlen im Masterbereich stellen. Unabhängig von
diesen quantitativen Herausforderungen muss der in der Bologna-Reform
vorgesehene qualitative Ausbau finanziell unterlegt werden.
Die Exzellenzinitiative
hat einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Universitäten
geleistet. Um diese Entwicklung nicht zu unterbrechen, müssen die Ziele ihrer
drei Förderlinien auch nach 2017/18 weiter verfolgt werden. Denkbar wäre
beispielsweise eine projektförmige Weiterentwicklung der ersten beiden
Förderlinien (Exzellenzcluster und Graduiertenschulen) im Portfolio der DFG.
Schließlich
gilt es, den Investitionsrückstand insbesondere bei der baulichen Infrastruktur
zu überwinden. Auch müssen sich die im Entflechtungsgesetz ab 2014
vorzusehenden Mittel an den aktuellen Bedarfen und der Preisentwicklung
orientieren.
- Fortsetzung des Pakts für
Forschung und Innovation
Der begonnene
Fortentwicklungs- und Vernetzungsprozess im deutschen Wissenschaftssystem darf
nicht unterbrochen werden, sondern bedarf einer verstetigten Förderung
insbesondere auch durch eine Fortsetzung des Pakts für Forschung und Innovation
nach 2015.
Auch
weiterhin müssen dabei jährliche Mittelaufwüchse von fünf Prozent erhalten
bleiben. Ein Großteil der Aufwüchse wird allein dafür benötigt, um die
Leistungsfähigkeit auf dem gegenwärtigen Niveau zu erhalten. Dabei schlagen
nicht nur Preis- und Tarifsteigerungen zu Buche, sondern auch die steigenden
Kosten des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns in einer sich stetig wandelnden
Praxis wissenschaftlichen Arbeitens. Dies erfordert unter anderem
aufwändigere wissenschaftliche Ausstattungen, steigende Energiebedarfe, der
Erhalt und Ausbau von Infrastrukturen und weitere Faktoren. Eine zu niedrige
Dotierung hätte den Abbau wissenschaftlicher Aktivitäten zur Folge.
Die
unbestritten positiven Wirkungen der Förderpolitik, die dem Pakt für Forschung
und Innovation zugrunde lagen, sollen weitere Verstärkung erhalten. Das
erfordert eine Weiterverfolgung der Paktziele: Aufgreifen neuer
Forschungsthemen, Vernetzung und Kooperation, Gleichstellung,
Internationalisierung, Transferaktivitäten, Nachwuchsförderung.
B.
Verbesserung der Karriereperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses
Vor dem
Hintergrund des demographischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels
ist ein weiterer Ausbau der Nachwuchsförderung auf allen Ebenen und
Karrierestufen notwendig. Durch die Fortsetzung des Pakts für Forschung und
Innovation und der Exzellenzinitiative könnten Hochschulen und
außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in enger Kooperation auch weiterhin,
und über das Jahr 2015 hinaus, einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses leisten.
Ein Ziel von
Wissenschaftsorganisationen und Politik muss es sein, Wissenschaft als Beruf
attraktiv zu machen. Dazu braucht es ein Wissenschaftssystem, das sich durch
Transparenz und Verlässlichkeit der Karrierewege auszeichnet. Wichtig sind
dabei eine stärkere Differenzierung der Personalstruktur und ein ausgewogenes
Verhältnis von befristeten und unbefristeten Stellen in Hochschulen und
Forschungsorganisationen.
Für den
wissenschaftlichen Nachwuchs wie für alle Forschenden ist weiterhin
entscheidend, dass Finanzierung und Organisation der Forschung mehr Freiraum
für Kreativität schafft. Dies betrifft die Entlastung herausragender
Forschender von administrativen Aufgaben und Bürokratie sowie eine ausreichende
auch personenbezogene Förderung.
Forschung
profitiert von Vielfalt. Die Förderung von Diversität ist deshalb ein
wichtiges Mittel der Wissenschaftsorganisationen im Rahmen ihrer
Personalpolitik. Das gilt für die Nachwuchsförderung, aber auch darüber hinaus,
so dass alle Dimensionen von Diversität adressiert werden.
Die Politik
kann helfen, die Kapazitäten zu schaffen, die Karrieren am
Wissenschaftsstandort Deutschland überhaupt erst ermöglichen. Hochschulen und
Wissenschaftsorganisationen machen es sich im Gegenzug mehr denn je zu ihrer
Aufgabe, ihre Pflichten bei der Ausbildung junger Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler hervorragend zu erfüllen. Das gilt insbesondere für die
Betreuung von Promovierenden und die Schaffung eines attraktiven
Arbeitsumfeldes für Postdoktoranden. Eine gesicherte und langfristige
Finanzierung der Hochschulen und außeruniversitären Organisationen ist auch für
die effiziente Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses von entscheidender
Bedeutung.
C. Ausbau
der Kooperationen innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems wie auch
international
Der
Ausbau etablierter und die Entwicklung neuer Kooperationsformen zwischen
allen Akteuren im Wissenschaftssystem, besonders aber der Hochschulen mit den
außeruniversitären Forschungsorganisationen, ist eine wesentliche Voraussetzung
für die weitere Leistungssteigerung des Systems. Vor allem die
Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation haben die
Kooperationsbeziehungen zwischen Universitäten und den Forschungseinrichtungen
auf ein neues Niveau gehoben. Die positiven Effekte sind auch international
anerkannt. Ihre Verstärkung muss Leitlinie des künftigen Förderhandelns
bleiben.
Die
Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems wird schließlich auch vom
Grad seiner Internationalisierung abhängen; denn diese ist zugleich Maßstab und
Motor seiner Wettbewerbsfähigkeit. Das stellt die Wissenschaft und ihre
Förderer vor eine Vielzahl von Aufgaben, in denen die in diesem Papier
beschriebenen Aufgaben zusammenfließen und die sie nur gemeinsam meistern
können: Durch die Schaffung international führender Einrichtungen, durch
hervorragend qualifizierten Nachwuchs, eine solide Finanzierung in der Breite
wie in besonderen Spitzen und attraktive, individuelle Förderangebote können
hervorragende Studierende aus aller Welt und international ausgewiesene Spitzenwissenschaftler
gewonnen werden.
D. Ausbau
und Förderung von Forschungs- und Informationsinfrastrukturen,
Weiterentwicklung von Urheberrecht und Open Access
Forschungsinfrastrukturen
sind ein wichtiger Erfolgsfaktor der Wissenschaft. Ihre Rolle als kooperative
und institutionenübergreifende Plattformen der Forschung etwa zur nachhaltigen
Beschaffung und Sicherung von Daten, Objekten und Forschungsmaterialien in
nahezu allen Fächern kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dies gilt für
dezentrale Einheiten, die ihre Leistungen für individuelle Forscher, häufig an
den Schnittstellen zwischen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen
erbringen ebenso wie für wissenschaftliche Großgeräte.
Forschungsinfrastrukturen fungieren auch als Technologietreiber und
Methodenentwickler. Sie bilden strategisch wichtige Kristallisationspunkte und
stärken Deutschland international als Innovationsstandort. Die Entwicklung von
und die Fürsorge für spezifische Forschungsinfrastrukturen schärfen das Profil
der Forschungsorganisationen im deutschen Wissenschaftssystem. Die Allianz
unterstützt die Entwicklung eines nationalen Roadmap-Prozesses zur Förderung
der Forschungsinfrastrukturen, der in die internationale Entwicklung
eingebettet wird. Der Bedarf an mittelgroßen Forschungsinfrastrukturen wächst.
Hierfür gibt es bislang kein geeignetes Finanzierungsinstrument. Die derzeit
geltenden, zuwendungs- und steuerrechtlichen Regelungen müssen so verändert
werden, dass die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur durch universitäre und
außeruniversitäre Forschungseinrichtungen einfacher möglich ist.
Darüber
hinaus sollte eine nachhaltige, integrierte und digitale
Informationsinfrastruktur geschaffen werden, die es allen Forschenden in
Deutschland ermöglicht, von überall und jederzeit auf das gesamte, relevante
publizierte Wissen sowie die entsprechenden Forschungsdaten und Werkzeuge
zugreifen zu können. Die Allianz ruft die Politik auf, entsprechende
Entwicklungen durch finanzielle Anreize und geeignete Koordinierungsinstrumente
nachdrücklich zu unterstützen und offene rechtliche Fragestellungen,
insbesondere beim Betrieb von Virtuellen Forschungsumgebungen sowie im Bereich
der Speicherung und Nachnutzung von Forschungsdaten, zu
klären.
Im Sinne
einer „offenen Wissenschaft“ fordern die Wissenschaftsorganisationen die
Novellierung des Urheberrechts: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihre Werke ungehindert öffentlich zu
machen und damit an der wissenschaftlichen Kommunikation ohne Einschränkungen
teilzunehmen. Außerdem unterstützen sie die Einführung eines ermäßigten
Mehrwertsteuersatzes auch für elektronische Medien, um auf diese Weise den
Umstieg der Verlage auf e-only zu beschleunigen.
Stefanie Schulte-Austum
Hochschulrektorenkonferenz (HRK)
German Rectors´ Conference
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