NAD+ ist ein wichtiger Co-Faktor bei der Reparatur von DNA-Schäden. Bösartige Hirntumoren nutzen alternative Wege, um sich mit ausreichend NAD+ zu versorgen. Bild: Ben Mills, Wikimedia Commons |
Hochbegabungspresse
Ein Enzym, das den Abbau bestimmter Aminosäuren
ermöglicht, macht Hirntumoren besonders aggressiv. Wissenschaftler aus dem
Deutschen Krebsforschungszentrum entdeckten damit eine neue Zielstruktur für
Therapien gegen die gefährliche Erkrankung. Die Ergebnisse sind in der
Zeitschrift Nature Medicine veröffentlicht.
Tumoren, insbesondere die sehr schnell wachsenden,
aggressiven, haben einen erhöhten Bedarf an Energie und an Bausteinen für neue
Zellbestandteile. Krebszellen verbrauchen daher viel Zucker (Glukose). Einige
Tumoren sind außerdem in der Lage, die Aminosäure Glutamin, einen wichtigen
Baustein der Proteine, zu verwerten. Eine zentrale Rolle beim Aminosäureabbau
spielt das Enzym Isocitrat-Dehydrogenase (IDH). Bei zahlreichen Hirntumoren
wurden vor einigen Jahren Mutationen im Gen für die IDH entdeckt. Die sehr
bösartigen Hirntumoren – die sogenannten primären Glioblastome – sind mit einem
intakten IDH-Gen ausgestattet. Bei den langsamer wachsenden dagegen liegt meist
ein Defekt dieses-Gens vor.
„Die Untersuchung des IDH-Gens ist heute ein wichtiges
diagnostisches Kriterium, um die Glioblastome von anderen, langsamer wachsenden
Hirntumoren zu unterscheiden“, sagt Dr. Bernhard Radlwimmer vom Deutschen Krebsforschungszentrum.
„Wir wollten wissen, was das besonders aggressive Wachstum der Glioblastome
antreibt. Gemeinsam mit Wissenschaftlern unter anderem vom Universitätsklinikum
Heidelberg verglichen Dr. Martje Tönjes und Dr. Sebastian Barbus aus Radlwimmers
Team daher die Genaktivitätsprofile von mehreren hundert Hirntumoren. Sie
wollten mit der Untersuchung herausfinden, ob sich Tumoren mit verändertem bzw.
intaktem IDH-Gen durch weitere genetische Auffälligkeiten unterscheiden, die
wiederum Rückschlüsse darauf zulassen, welcher Mechanismus die Aggressivität
der Erkrankungen beeinflusst.
Einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Gruppen
fanden die Forscher in der stark erhöhten Aktivität des Gens für das Enzym
BCAT1, das im normalen Hirngewebe für den Abbau so genannter
„verzweigtkettiger“ Aminosäuren sorgt. Doch nur diejenigen Tumorzellen, deren
IDH-Gen nicht mutiert ist, produzieren BCAT1, wie Radlwimmers Team entdeckte
„Das ist nicht überraschend, denn die IDH stellt das Molekül a-Ketoglutarat zur
Verfügung, auf das wiederum BCAT1 angewiesen ist. Das erklärt, warum BCAT1 nur
in Tumorzellen mit intakter IDH gebildet wird. Die beiden Enzyme scheinen eine
Art funktionelle Einheit beim Aminosäure-Abbau zu bilden“, vermutet Bernhard
Radlwimmer.
Glioblastome sind besonders deswegen gefürchtet, weil sie
sehr aggressiv in umgebendes gesundes Hirngewebe vordringen. Blockierten die
Forscher die BCAT1-Wirkung mit einem pharmakologischen Wirkstoff, so verloren
die Tumorzellen ihre Invasionsfähigkeit. Darüber hinaus schütteten sie weniger
vom Neurotransmitter Glutamat aus. Eine hohe Glutamat-Ausscheidung ist für
viele schwere neurologische Symptome wie etwa epileptische Anfälle
verantwortlich, die im Zuge der Erkrankung häufig auftreten. Auf Mäuse übertragen,
wuchsen Glioblastomzellen, deren BCAT1-Gen blockiert worden war, nicht mehr zu
Tumoren aus.
„Insgesamt sehen wir, dass die Überexpression von BCAT1
zur Aggressivität der Glioblastom-Zellen beiträgt“, sagt Bernhard Radlwimmer.
Er und seine Kollegen schließen aus den Ergebnissen, dass die beiden Enzyme,
BCAT1 und IDH, beim Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren zusammenwirken.
Offenbar steigert die Möglichkeit, sich diese Eiweißbausteine als
„Nahrungsquelle“ zunutze zu machen, die Bösartigkeit der Krebszellen.
Verzweigtkettige Aminosäuren spielen auch bei Stoffwechselerkrankungen wie etwa
Diabetes eine wichtige Rolle. Dies ist das erste Mal, dass Wissenschaftler die
Bedeutung dieser Aminosäuren für das Wachstum von Krebstumoren zeigen konnten.
„Die gute Nachricht daran ist“, so fasst Radlwimmer
zusammen, dass wir mit BCAT1 ein weiteres Angriffsziel für zielgerichtete
Therapien gefunden haben. In Zusammenarbeit mit Bayer Healthcare sind wir
bereits dabei, nach spezifischen Wirkstoffen gegen dieses Enzym zu suchen.“
Darüber hinaus wollen die Forscher prüfen, ob die BCAT1-Expression auch als
zusätzlicher diagnostischer Marker für die Bösartigkeit eines Hirntumors taugt.
Die Arbeit wurde vom Nationalen Genomforschungsnetzwerk
(NGFN) gefördert.
M. Tönjes, S. Barbus, Y.J. Park, W. Wang, M. Schlotter,
A.M. Lindroth, S.V. Pleier, A.H.C. Bai, D. Karra, R.M. Piro, J. Felsberg, A.
Addington, D. Lemke, I. Weibrecht, V. Hovestadt, C.G. Rolli, B. Campos, S.
Turcan, D. Sturm, H. Witt, T.A. Chan, C. Herold-Mende, R. Kemkemer, R. König,
K. Schmidt, W.E. Hull, S.M. Pfister, M. Jugold, S.M. Hutson, C. Plass, J.G.
Okun, G. Reifenberger, P. Lichter, B. Radlwimmer: BCAT1 promotes cell
proliferation via amino acid catabolism in gliomas carrying wildtype IDH1. Nature
Medicine 2013, DOI: 10.1038/nm.3217
Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur
Verfügung unter:
Bildunterschrift: Glioblastom-Zellen (B. Radlwimmer, DKFZ)
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter
Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist
ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das
DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu
10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter www.dkfz.de/pressemitteilungen
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