Die neue Studie "Wie ticken
Jugendliche 2016?" des SINUS-Instituts zeigt: Jugendliche in Deutschland
leben nach wie vor in unterschiedlichen Lebenswelten, aber sie rücken in
mehrfacher Hinsicht zusammen. Für die meisten 14 bis 17-Jährigen heute gilt:
Man möchte sein wie alle. Die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen
Jugend-Subkulturen gibt es kaum mehr. Eine Mehrheit ist sich einig, dass gerade
in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung,
Toleranz und sozialen Werten gelten muss, weil nur er das "gute
Leben", das man in diesem Land hat, garantieren kann.
Das trifft auch für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu, v.a. die
muslimischen, die sich demonstrativ von religiösem Fundamentalismus
distanzieren. Die Akzeptanz von Vielfalt nimmt zu, v.a. religiöse Toleran! z
wird al s wichtige soziale Norm hervorgehoben. Dem entsprechend ist die
Mehrheit in allen Lebenswelten für die Aufnahme von Geflüchteten und
Asylsuchenden. In Teilen der Jugend in Deutschland werden jedoch auch
Ressentiments und ausgrenzende Haltungen gegenüber Menschen anderer nationaler
Herkunft und sozialen Randgruppen geäußert.
Wunsch nach Orientierung
und Sicherheit
Der Begriff "Mainstream" ist bei den meisten Jugendlichen kein
Schimpfwort, sondern - im Gegenteil - ein Schlüsselbegriff im
Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung. Viele wollen mehr noch als
vor wenigen Jahren so sein "wie alle". Ein mehrheitlich gemeinsamer
Wertekanon vor allem aus sozialen Werten deutet auf eine gewachsene Sehnsucht
nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung in
den zunehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt hin.
Dem entsprechen auch ihre generelle Anpassungsbereitschaft un! d selbstv
erständliche Akzeptanz von Leistungsnormen und Sekundärtu-genden. Dieser
"Neo-Konventionalismus" gilt gleichermaßen für Jugendliche mit und
ohne Migrationshintergrund, ausgenommen sind lediglich die postmodern geprägten
Lebenswelten. Dennoch werden weiterhin auch jugendtypische Werte wie der Wunsch
nach Selbstentfaltung sowie hedonistische und postmoderne Werte betont, je nach
Lebenswelt in unterschiedlich starker Ausprägung.
Großteil akzeptiert
Vielfalt, Einzelne äußern Vorbehalte
Junge Menschen interessiert und beschäftigt das Thema Flucht und Asyl: Vor dem
Hintergrund der aktuellen Debatten in Deutschland ist eine wichtige Erkenntnis,
dass der überwiegende Teil der Befragten die Aufnahme von Geflüchteten
befürwortet, Zuwanderung unterstützt, Toleranz zeigt und mehr Engagement für
eine gelungene Integration fordert. Konzept und Narrative der
"postmigrantischen Gesellsc! haft" s ind unter den 14- bis
17-Jährigen erkennbar, die Akzeptanz von Vielfalt nimmt zu. Teilweise bestehen
dennoch nach wie vor manifeste Vorbehalte gegen-über anderen Nationen. Dabei
handelt es sich zwar meistens um tradierte Stereotype, die von den Jugendlichen
aber nicht immer als Klischees oder Vorurteile er-kannt werden. Bei vielen
Jugendlichen, insbesondere in den benachteiligten Le-benswelten, ist das
positive Bild einer pluralen, vielfältigen Gesellschaft (noch) nicht fest als
soziale Norm verankert.
Digitale Sättigung
Aus Perspektive der Jugendlichen ist der Höhepunkt der digitalen Durchdringung
des eigenen Alltags erreicht. Die bislang als jugendtypisch eingeordnete,
bedin-gungslose Faszination ist geschwunden. Jugendliche kennen die Risiken
(z.B. Überwachung, unkontrollierte Datennutzung) und möchten digitale Medien
nicht nur nutzen, sondern auch verstehen. Deshalb wünschen sie sich von der
Schule weniger gefahrenzentrierten U! nterricht und mehr Hilfestellungen, wie
sie sich sicher und trotzdem frei im Netz bewegen können. Digitale Kompetenzen
sind in den Lebenswelten immer noch unterschiedlich ausgeprägt. Doch gerade sie
sind zunehmend relevant für soziale Teilhabe und berufliche Zukunft. Der
"richtige" Umgang mit digitalen Medien wird vor allem in den
bildungsnahen Lebenswelten als anspruchsvolle Aufgabe gesehen, erstmals werden
Wünsche nach Entschleunigung geäußert.
Werte wichtiger als
Religionen
Jugendliche sind an Sinnfragen interessiert, aber skeptisch gegenüber
Religionsge-meinschaften als Institutionen. Die eigene Glaubensgemeinschaft ist
in den meisten Lebenswelten nicht besonders wichtig, wird aber auch nicht
grundsätzlich in Frage gestellt. Religiöse Heterogenität im Freundeskreis wird
akzeptiert, wichtig ist jedoch, dass es eine gemeinsame Wertebasis gibt.
Religiöse Begründungen von Gewalt lehnen Jugendliche aller Lebenswelten
deutlich ab! . Speziel l bei den befragten muslimischen Jugendlichen zeigt sich
eine Festigung von religiöser Toleranz als Norm und eine demonstrative
Distanzierung vom radikalen Islamismus.
Zweifel, ob man selbst
etwas bewirken kann
Umweltschutz und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen bewegen
Jugendliche ebenso wie das Thema kritischer Konsum, letzteres vor allem im
Hinblick auf die Vermeidung von Kinderarbeit. In ihrem Alltag ist die
Handlungsrelevanz dieser Themen jedoch aus verschiedenen Gründen beschränkt:
Preisargumente und das Gefühl, dass Einzelne nicht viel ändern können, sorgen
dafür, dass Jugendliche ihr Kaufverhalten in der Praxis kaum anpassen. Der
Klimawandel ist vor allem in den Lebenswelten mit niedriger Bildung kaum
relevant, weil man Schwierigkeiten hat, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen.
Pragmatisch mobil
Jugendliche entscheiden zweck-, kosten- und situationsabhängig, welches
Verkehrsmit! tel gerad e am besten passt. Mit dem öffentlichen
Personennahverkehr zeigen sie sich im Großen und Ganzen zufrieden. Busse und
Bahnen sind für sie nicht nur ein Beförderungsmittel, sondern auch ein Ort, um
in sozialen Austausch zu treten, Freunde zu treffen oder neue Kontakte zu
knüpfen und Zeit für sich zu haben. Um sich über ÖPNV-Angebote zu informieren,
setzen die Jugendlichen auf Mobilitäts-Apps, die sämtliche Angebote innerhalb
einer Stadt vernetzen. Während vor allem für junge Leute im ländlichen der
Führerschein und als Fernziel ein eigenes Auto zum Erwachsenwerden einfach
dazugehören, herrscht Skepsis gegenüber selbstfahrenden Autos.
Zum Studienansatz
Die neue Studie "Wie ticken Jugendliche 2016?" beschreibt auf
Basis von 72 qualitativen Tiefeninterviews Wertvorstellungen von 14- bis
17-Jähringen in Deutschland sowie ihre Einstellungen zu Themen wie Flucht und
Asyl, digitale Medien, Glaube, Nachhaltigkeit und ! Mobilit= 4t. In zahlreichen
Zitaten und kreativen Selbstzeugnissen kommen die Jugendlichen dabei
ungefiltert zu Wort. Die Untersuchung, die heute in Berlin vorgestellt wurde,
liefert mit der detaillierten Nachzeichnung der Lebenssi-tuation Einzelner ein
insgesamt typisches Bild für die unterschiedlichen Lebenswel-ten von
Jugendlichen heute. Erstmals wurde bei der Erhebung die Methode des
Participatory Youth Research eingesetzt, bei der Jugendliche als Interviewende
selbst ihre Fragen einbringen konnten.
Wie in beiden Vorgängerstudien 2008 und 2012 zeigt sich auch 2016, dass
es d i e Jugend nicht gibt. Die qualitative Untersuchung des
SINUS-Instituts bildet die Vielfalt der Perspektiven jugendlicher Lebenswelten
ab, wobei sich an der inneren Ver-fasstheit der Gruppen wenig geändert hat und
das im Jahr 2012 entwickelte Modell mit den sieben jugendlichen Lebenswelten
bestätigt werden konnte.
Auftraggeber sind die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der De! utschen B
ischofs-konferenz (afj), der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die
Bundes-zentrale für politische Bildung/bpb, die Deutsche Kinder- und
Jugendstiftung (DKJS) und die VDV-Akademie (Verband Deutscher
Verkehrsunternehmen - Akademie).
Weitere Infos:
Das SINUS-Modell für Lebenswelten von 14 - 17-Jährigen:
Stimmen der
Auftraggeber
Wolfgan! g Ehrenle
chner, Bundesvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ):
"Die Studie ist für uns ein wertvolles Instrument, um die vielfältigen
Lebenswelten junger Menschen noch besser zu verstehen. Gerade die Themen
Nachhaltigkeit und Kritischer Konsum sind für uns sehr wichtig. Die
SINUS-Jugendstudie zeigt klar, dass diese Themen junge Menschen bewegen, ihnen
aber häufig der konkrete Zugang fehlt. Mit den Erkenntnissen können wir unsere
Bildungsangebote und Engagementmöglichkeiten in diesen Bereichen noch besser
ausbauen und unseren politischen Einsatz für rechtliche Rahmenbedingungen
untermauern."
Dr. Heike Kahl, Deutsche
Kinder- und Jugendstiftung (DKJS):
Chancengerechtigkeit in der digitalen Welt misst sich nicht mehr an der
technischen Ausstattung: Entscheidend wird für junge Menschen sein, ob sie die
digitalen Möglichkeiten zielgerichtet zur Entfaltung ihrer Potenziale nutzen
und selbst zu aktiven und! kreative n Gestaltern ihrer Welt werden
können - online wie offline. Es ist eine wichtige Aufgabe für unser
Bildungssystem, aber auch für die Zivilgesellschaft, sie dabei zu unterstützen
und keine Lebenswelt auszuschließen.
Thomas Krüger, Präsident
der Bundeszentrale für politische Bildung:
"Die Erkenntnisse der SINUS-Jugendstudie, dass der überwiegende Teil der
Jugend-lichen die Aufnahme von Geflüchteten grundsätzlich befürwortet, ist eine
gute Basis für die politische Bildung. Nach wie vor hegt aber ein signifikanter
Anteil der Jugendlichen weiter Vorurteile, Klischees und manifeste Vorbehalte
gegenüber anderen Nationalitäten und erkennt eine plurale Gesellschaft nicht
als soziale Norm an. Vorurteile zu entkräften und die Diskussion über das neue
gesellschaftliche Wir zu moderieren bleiben deshalb wichtige Aufgaben der
politischen Bildung."
Bianka Mohr, Leiterin
der Arbeitsstelle für Jugendseels! orge der Deutschen Bi-schofskonferenz (afj):
"Die SINUS-Jugendstudie zeigt zum wiederholten Mal, dass junge Menschen
sich Sinnfragen stellen und u.a. im Glauben nach Antworten für ein gelingendes
Leben suchen. Wie Jugendliche über Glaube, Religion und Sinnfragen denken und
wie sie religiöse Pluralität im Kleinen im Freundeskreis und im Großen in der
Gesellschaft erleben und wie ihr Blick auf die aktuelle Weltlage ist – das sind
für uns wichtige Fragestellungen, die wir von Expertinnen und Experten
beantwortet wissen wollen – den Jugendlichen selbst."
Michael Weber-Wernz,
Geschäftsführer der Akademie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen
(VDV-Akademie):
"Erfreulicherweise ist die Mehrheit der Befragten zufrieden mit dem
Angebot des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Die Jugendlichen sind für
uns als Bran-che wichtige Botschafter, deren Bedürfnisse wir sehr ernst nehmen:
ganzheitliche Mobilitäts-Apps! , komfort able Fahrzeuge und ÖPNV als
Kommunikationsraum sind Wünsche, an deren Verbesserung wir gerne weiter
arbeiten."
Bundeszentrale
für politische Bildung
Stabsstelle Kommunikation
Adenauerallee 86
53113 Bonn
Tel +49 (0)228 99515-200
Fax +49 (0)228 99515-293