VolkswagenStiftung
fördert Tübinger Projekt: „A Quantum Beat for Life” untersucht, ob lebende
Organismen quantenmechanische Effekte zur Photosynthese nutzen
Pflanzen und
viele Bakterien wandeln bei der Photosynthese Licht in chemische Energie um.
Der Wirkungsgrad der ersten Schritte der Energiewandlung kann dabei mehr als 99
Prozent erreichen und ist selbst leistungsstärksten Solarzellen weit überlegen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Tübingen wollen mit
einem neuartigen Ansatz klären, ob derartige Bakterien und damit auch Blätter
quantenmechanische Effekte nutzen, um derart effizient arbeiten zu können. Die
VolkswagenStiftung fördert das interdisziplinäre Projekt „A Quantum Beat
for Life“ mit 100.000 Euro.
Professor
Alfred Meixner vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie und
Professor Klaus Harter vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen werden
eine quantenoptische Technik einsetzen, um erstmals in einem lebenden
Cyanobakterium (Blaualgen) quantenmechanische Effekte in der Photosynthese zu
beobachten oder auszulösen. Cyanobakterien und Pflanzen arbeiten bei der
Photosynthese mit sogenannten Lichtsammelkomplexen, einer Ansammlung von
Proteinstrukturen mit hochstrukturiert angeordneten Farbpigmenten. Schon länger
vermuten Wissenschaftler, dass die enorme Energieeffizienz von Bakterien und
Blättern darauf beruht, dass sich die rund 10.000 Farbpigmente der Lichtsammelkomplexe
nach quantenmechanischen Prinzipien „verschränken“ und zusammenarbeiten,
ähnlich wie die Musiker in einem Orchester.
Bisher wurden
Quantenphänomene nur in isolierten Photosynthesekomplexen und bei extrem tiefen
Temperaturen beobachtet. „Ob derartige Quantenphänomene auch in lebenden Zellen
unter üblichen Umweltbedingungen auftreten und dies dem Organismus Vorteile
bringt, ist nicht geklärt“, sagt Klaus Harter. Alfred Meixner erklärt den
physikalischen Ansatz: „Wir untersuchen einzelne Cyanobakterien in einem so
genannten optischen Fabry-Pérot Mikroresonator.“ Der Fabry-Pérot
Mikroresonator besteht aus zwei parallelen Silberspiegeln im Abstand von nur
wenigen Mikrometern.
Diese sollen
nun in den Cyanobakterien einen quantenmechanischen Effekt erzeugen: Indem sie
das von den einzelnen Farbpigmenten ausgesendete Licht wieder in das Bakterium
zurückwerfen, entsteht eine Rückkopplung, was dazu führen könnte, dass die
Pigmente nicht mehr unabhängig sondern gemeinsam agieren. Ein ähnliches Prinzip
wird bereits heute bei Lasern eingesetzt: durch Rückkopplung werden einzelne
Moleküle dazu gezwungen, ihre Anregungsenergie im Takt einer Lichtwelle
auszusenden und diese so zu verstärken. „Bei den winzigen Dimensionen unseres
Resonators wird die Rückkopplung sehr effizient, so dass dafür sehr wenige,
vielleicht schon einzelne Photonen ausreichen“, erklärt Meixner. „Auf diese
Weise wollen wir versuchen, die Anregungszustände der Pigmente im
Cyanobakterium zu manipulieren, ihr Zusammenwirken herbeizuführen und aufrechtzuerhalten.“
Gelänge dies,
wäre es das erste Mal, dass ein sogenanntes „ausgedehntes Quantenverhalten“ ‒
nicht nur einzelne Moleküle, sondern eine große Anzahl verschränkt sich
quantenmechanisch ‒ in einem lebenden Organismus (in vivo) nachgewiesen werden
konnte. Für die Biologie wäre dies von großer Bedeutung, wie Klaus Harter sagt.
„Treten solche Effekte tatsächlich auf, sind sie für den Organismus jedoch nur
dann von Vorteil, wenn damit die Leistungsfähigkeit seiner Photosynthese erhöht
wird. Eine gesteigerte Effizienz müsste sich anhand einer Erhöhung der
photosynthetischen Produkte nachweisen lassen, die dem Cyanobakterium wiederum
zu einem besseren Wachstum verhelfen. Gelingt dieser Nachweis, stehen wir vor
einem wissenschaftlichen Durchbruch auf dem Gebiet der Quantenbiologie.“ Mit
ihrer Förderinitiative „Experiment!“ unterstützt die Volkswagenstiftung
innovative Forschungsideen, die unkonventionelle Hypothesen in den Blick nehmen
oder neue Methoden und Technologien etablieren wollen.
Ein Erfolg würde
Vermutungen unterstützen, dass möglicherweise weitere biologische Phänomene,
darunter der Magnetsinn von Zugvögeln, der Geruchsinn von Tier und Mensch sowie
manche enzymatische Prozesse, auf quantenmechanischen Prinzipien beruhen. Zudem
hätte der Nachweis ausgedehnten Quantenverhaltens in einem lebenden Organismus
weitreichende Konsequenzen für das Verständnis des Lebens an sich: Es würde
bedeuten, dass die Grundlagen der Evolution nicht nur auf den Gesetzen der
klassischen Mechanik und Thermodynamik beruhen, sondern auch tief in die
Quantenphysik reichen.
Abbildung:
Weißlicht (oben,
bestehend aus vielen Wellenlängen) trifft auf einen „Mikroresonator“ aus zwei
Silberspiegeln mit wenigen Mikrometern Abstand, die ein starkes optisches Feld
aufbauen. Wird ein Cyanobakterium (Mitte) diesem ausgesetzt, könnten die
lichtsammelnden Photosynthese-Komplexe des Bakteriums (Vergrößerung, links)
"gleichgeschaltet" bzw. „verschränkt“ werden. Eventuelle Änderungen
in der photosynthetischen Effizienz, werden über ein Mikroskopobjektiv (unten,
nicht maßstabsgetreu) erfasst und untersucht.
Abbildung:
Meixner / Universität Tübingen
Kontakte:
Prof. Dr.
Alfred J. Meixner
Universität
Tübingen
Institut für
Physikalische und Theoretische Chemie
Telefon: +49
7071 29-76903
Prof. Dr.
Klaus Harter
Universität
Tübingen
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen
Pflanzenphysiologie
Telefon: +49 7071-29-72605
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen
Pflanzenphysiologie
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Wilhelmstraße 5 · 72074 Tübingen · Germany
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