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Eine Chemikerin des HZDR bereitet Pilze für die Untersuchungen vor. Nach den Laborversuchen wollen die Forscher das Potential auch im freien Feld testen. Bild: HZDR |
Pilze könnten eine wichtige Rolle bei der Behandlung
radioaktiv belasteter Böden spielen. In einem neuen Projekt wollen
Wissenschaftler aus Sachsen, Thüringen und Niedersachsen untersuchen, ob und
wie das Myzel – das fadenförmige Geflecht im Boden unterhalb des Fruchtkörpers
von Pilzen – radioaktive Stoffe aufnehmen und zurückhalten kann. Dieses
Potential soll nach Versuchen im Labor auch auf kontaminiertem Gelände rund um
Tschernobyl getestet werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) unterstützt das Vorhaben, das das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf
(HZDR) koordiniert, für drei Jahre mit rund einer Million Euro.
„Es ist schon lange bekannt, dass verschiedene Pilzarten
radioaktive Stoffe aus dem Boden aufnehmen können“, erzählt Dr. Johannes Raff
vom Institut für Ressourcenökologie am HZDR. „Die meisten Untersuchungen
beschränken sich jedoch auf den oberirdischen Fruchtkörper. Welche Prozesse
sich im eigentlichen Pilzkörper, also dem Myzel, abspielen, ist bisher
ungeklärt. Wir können deshalb noch nicht für alle Radionuklide sagen, weshalb
die Pilze die Schadstoffe aufnehmen und vor allem warum sie sie vertragen.“
Diesen Fragen will der Mikrobiologe aus Dresden in dem Projekt BioVeStRa (Biologische
Verfahren zur Strahlenschutzvorsorge bei Radionuklidbelastungen)
gemeinsam mit Kollegen der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des VKTA –
Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung und der Leibniz Universität Hannover
auf den Grund gehen.
Denn Raff sieht bei den begehrten Sammelobjekten ein großes
Potential. „Pilze können sich sehr schnell und sehr weiträumig ausbreiten.
Gerade bei akuten Störfällen, beispielswiese bei Leckagen in Rohrleitungs- und
Schleusensystemen, könnten sie eingesetzt werden, um zu verhindern, dass
radioaktive Stoffe in das Grundwasser und damit in den Nahrungskreislauf
gelangen.“ Dank ihres hohen Lebensalters – mehrere 100 Jahre sind bei manchen
Pilzarten nichts Besonderes – könnten sie die radioaktiven Stoffe teilweise
sogar so lange speichern, bis sie zerfallen sind. Deshalb könnten sie sich
nicht nur zur schnellen Strahlenschutzvorsorge, sondern sogar zur Sanierung
kontaminierter Böden eignen, erklärt Raff: „Dafür müssen wir die molekularen
Prozesse – also die Aufnahme der Radionuklide in die Zellen – und den Transport
innerhalb des Organismus genau verstehen.“
Vom Labor ins ukrainische Sperrgebiet
In Laborexperimenten mit kontaminierter Erde wollen die
Forscher zunächst die Fähigkeiten von zwei Pilzsorten – Schizophyllum
commune und Leucoagaricus naucinus – erkunden. Der Fokus liegt dabei
auf den radioaktiven Isotopen Strontium-90 und -85, Cäsium-137 und
Americium-241 sowie auf weiteren nicht-radioaktiven Isotopen der Elemente
Strontium, Cäsium und Europium. „Gleichzeitig wollen wir den Einfluss auf
Nutzpflanzen untersuchen“, beschreibt Raff den Umfang der Experimente. „Dabei
geht es natürlich hauptsächlich um die Frage, ob die Pilze die schädlichen
Stoffe von den Pflanzen fernhalten können, was zum Beispiel bei einigen
nicht-radioaktiven Schwermetallen der Fall ist. Darauf aufbauend könnte eine
Methode entwickelt werden, um kontaminierte Flächen wieder landwirtschaftlich
nutzbar zu machen.“
Bei einem Freilandversuch mit radioaktiv belastetem Boden in
der Sperrzone um den havarierten Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl
sollen die gewonnenen Erkenntnisse anschließend unter realistischen Bedingungen
überprüft werden. „Sollten die Ergebnisse überzeugen, könnte sich daraus auf
lange Sicht auch ein Reinigungsverfahren für belastetes Abwasser oder Schlämme
ableiten“, schätzt Raff ein. „In den nächsten drei Jahren geht es aber zunächst
einmal darum, unser grundlegendes Wissen zu erweitern.“
__Weitere Informationen:
Dr. Johannes Raff
Institut für Ressourcenökologie am HZDR
Tel. +49 351 458-2951
E-Mail: j.raff@hzdr.de
__Medienkontakt:
Simon Schmitt | Wissenschaftsredakteur
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•
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•
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•
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dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
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