Soziologische
Studie der Universität Tübingen zeigt: In Zeiten hoher Zuwanderung wächst die
Fremdenangst – allerdings weniger in Regionen, in denen viele Migranten leben
Noch nie
kamen so viele Zuwanderer in die Bundesrepublik wie im vergangenen Jahr. Ist
deshalb mit einem Anstieg der Fremdenangst zu rechnen oder gewöhnt sich die
Bevölkerung an die zunehmende ethnische Vielfalt? Eine neue Studie des
Sozialwissenschaftlers Hannes Weber von der Universität Tübingen kommt hier zu
einem scheinbar paradoxen Ergebnis: Einerseits nehmen in Zeiten hoher
Zuwanderung Fremdenängste und Stimmenanteile rechtsgerichteter Parteien zu.
Andererseits ist dies vor allem in Regionen zu beobachten, wo sich nur wenige
Migranten niederlassen.
Weber hatte
für die Studie statistische Daten und Befragungen in Deutschland ausgewertet,
aber auch Untersuchungen aus anderen europäischen Ländern zum Vergleich
herangezogen. Seine Ergebnisse wurden kürzlich im Berliner Journal für
Soziologie (online first) veröffentlicht: http://link.springer.com/article/10.1007/s11609-016-0300-8
So kam der
Tübinger Soziologe zu dem Ergebnis, dass in den deutschen Landkreisen mit dem
niedrigsten Zuwandereranteil die Ängste vor negativen Konsequenzen der
Zuwanderung – etwa für Arbeitsmarkt oder Kriminalitätsrate – am weitesten
verbreitet sind. In Städten mit hohem Zuwandereranteil sehen die Bewohner
Migration dagegen im Schnitt gelassener. Dieser Befund bleibe auch bestehen,
wenn man berücksichtige, dass die Befragten in Großstädten häufig selbst
Migrationshintergrund hätten oder Akademiker und Besserverdienende seien, die
dem Thema Zuwanderung eventuell offener gegenüber stünden, sagte Weber.
Seine Befunde
erklärt er sich damit, dass sich Menschen in ethnisch vielfältigeren Städten
und Landkreisen offenbar stärker an die Präsenz von Mitmenschen anderer
Herkunft gewöhnt haben. Auch positive persönliche Kontakte, etwa am
Arbeitsplatz oder im Verein, beeinflussten das Bild des „Fremden“. Dagegen
fühle sich stärker bedroht, wer im Alltag wenigen Zuwanderern begegne, während
gleichzeitig in den Medien über die hohe Zuwanderung diskutiert werde.
Räumliche
Nähe zu Zuwanderern ist aber nur bedingt ein „Rezept gegen
Fremdenfeindlichkeit“, auch dies schlussfolgert Weber aus der Studie. Werfe man
einen Blick auf die feiner gegliederte Ebene von Stadtvierteln, ergebe sich ein
anderes Bild als im überregionalen Vergleich, erklärt der Soziologe.
„Beispielsweise im Vergleich von Vierteln mit niedrigem und höherem
Migrantenanteil in Stuttgart: Aus letzteren sind in den letzten 15 Jahren
überproportional viele Deutsche fortgezogen, und die Zurückgebliebenen wählten
im vergangenen März häufiger die Alternative für Deutschland (AfD) bei den
baden-württembergischen Landtagswahlen.“ Zwar müsse der Anteil an Migranten
nicht der einzige Grund sein, aus dem Familien der Mittelschicht bestimmte
Wohngegenden mieden. Aber insgesamt zeigten die Ergebnisse, dass innerhalb von
Städten eher die Bewohner in besser situierten Vierteln mit geringem bis
moderatem Zuwandereranteil tolerant gegenüber Migranten eingestellt seien. „Das
deutet darauf hin, dass Menschen der Zuwanderung besonders positiv gegenüber
stehen, wenn sie zwar im Alltag sichtbar, aber weniger in der unmittelbaren
Nachbarschaft zu finden ist.“
Für die
Studie wurden verfügbare statistische Daten und Befragungen in Deutschland
ausgewertet, aber zum Vergleich auch Untersuchungen aus anderen europäischen
Ländern. Die Daten beziehen sich teilweise auf aktuelle Ereignisse wie die
Landtagswahlen in Baden-Württemberg im März 2016. Manche der ausgewerteten
Umfragen wurden allerdings noch vor Beginn der verstärkten
Flüchtlingszuwanderung seit Mitte 2015 durchgeführt, etwa die Allgemeine
Bevölkerungsumfrage (ALLBUS) aus dem Jahr 2014 oder die Europäische Wertestudie
(EVS) aus dem Jahr 2008. Inwieweit der momentane Flüchtlingszuzug die
Reaktionen beeinflusst, lässt sich daher noch nicht abschließend bewerten.
Originalpublikation:
Weber, H.
(2016): „Mehr Zuwanderer, mehr Fremdenangst? Ein Überblick über den
Forschungsstand und ein Erklärungsversuch aktueller Entwicklungen in
Deutschland“, in: Berliner Journal für Soziologie (online first): http://link.springer.com/article/10.1007/s11609-016-0300-8
Kontakt:
Dr. Hannes
Weber
Universität
Tübingen
Institut für
Soziologie
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7071 29-77456
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