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Professor
Claus Dierksmeier
Foto:
Universität Tübingen / Friedhelm Albrecht
Der Tübinger
Philosoph Professor Claus Dierksmeier hat eine Neudefinition des
Freiheitsbegriffs in der philosophischen und politischen Debatte gefordert.
„Globale Krisen und Probleme treiben die Menschen dazu, nach gemeinsamen
Lösungen zu suchen. Die Durchsetzung jener Lösungen erfordert jedoch oftmals
globale Institutionen; und diese Institutionen können ihrerseits häufig nur
effizient arbeiten, wenn sie auf einem Fundament geteilter Werte aufruhen“,
erklärt Dierksmeier in seinem neuen Buch „Qualitative Freiheit –
Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung“.
Notwendig sei
für die Zukunft eine globale Ethik und für diese sei die Idee der Freiheit
zentral: „Im Reigen aller global vertretenen Werte kommt der Freiheit eine
Sonderrolle zu“, betont Dierksmeier, der auch Direktor des Tübinger
Weltethos-Instituts ist. Zwar gebe es Kulturen, die sich ihrem expliziten
Selbstverständnis nach nicht auf die Idee der Freiheit stützten. „Doch als
Selbstbestimmung nehmen Freiheit implizit alle in Anspruch; sogar und gerade
dann, wenn sie Freizügigkeit in der eigenen Lebensführung ablehnen.“ Auch
Individuen und Gruppen, die sich gänzlich illiberalen Lebensmodellen
verschrieben, legten Wert darauf, dies autonom zu tun.
Dierksmeier
plädiert für den Begriff einer „qualitativen Freiheit“, die er der rein
„quantitativen Freiheit“ gegenüberstellt. „Die moderne Welt ist gekennzeichnet
durch einen sprunghaften Anstieg von Freiheitsoptionen“, erklärt
Dierksmeier: „Die globalisierte und zunehmend digitalisierte Welt bietet
nahezu unbegrenzte Informations-, Konsum- und Reisemöglichkeiten. Dennoch
stoßen wir vielerorts auf ein großes Unbehagen angesichts der Folgen und
Begleiterscheinungen dieser primär quantitativen Zunahme von Freiheit.“ Die
Frage nach der Qualität von Freiheit müsse neu gestellt werden: „Freiheit kann
nicht schlicht mit der schieren Anzahl von Wahlmöglichkeiten identifiziert
werden.“ Während es quantitativ gedachter Freiheit auf ein „je mehr, desto
besser“ an Freiheitsoptionen ankomme, setze qualitativ ausgerichtete Freiheit
ihren Akzent auf ein „je besser, desto mehr“.
„Quantitative
Freiheit umschreibt ein maximierendes Grundanliegen, dem es um die
höchstmögliche Anzahl oder die größtmögliche Ausdehnung individueller
Wahlmöglichkeiten geht“, sagt Dierksmeier, den die Universität Tübingen vor
kurzem auf eine Professur für Globalisierungs- und Wirtschaftsethik berufen
hat. „Die Idee der qualitativen Freiheit will uns demgegenüber für das
notwendige Bewerten, Schaffen und Verändern jener Möglichkeiten
sensibilisieren: einige sollten wir besonders fördern, andere weniger.“ Die
Selbstbestimmung aller Menschen – auch weit entfernt lebender sowie zukünftiger
Generationen – sei dabei „Grund und Ziel der Idee der qualitativen Freiheit“.
Der Direktor
des Weltethos-Instituts macht die einseitige Fixierung des Freiheitsbegriffs
auf rein quantitative Wahlmöglichkeiten für die Krise des politischen
Liberalismus in vielen Staaten mitverantwortlich: „Nicht nur hinsichtlich
liberaler Politik besteht derzeit eine wachsende Skepsis“, erklärt Dierksmeier.
„Auch an der Philosophie der Freiheit selbst werden Zweifel angemeldet. Das
politische und das philosophische Problem hängen zusammen.“ Die Unfähigkeit des
politischen Liberalismus, sich zu drängenden sozialen und ökologischen
Herausforderungen klar zu positionieren, habe auch mit der Verwirrung über den
eigentlichen Gehalt der Freiheitsidee zu tun. „Kritische Stimmen inmitten
unserer offenen Gesellschaften und extremere Stimmen von außen vertreten, dass
ohne anspruchsvolle normative Ziele das Säurebecken kapitalistischer Kulturen
das liberale Ideal zu einer Vielzahl hedonistischer Idole zersetzt: Freiheit
verdampft zur Konsumfreiheit.“
Dem setzt
Dierksmeier ein an nachhaltiger Freiheit orientiertes Ideal entgegen: „Freiheit
verpflichtet – Verantwortung befreit; denn nur wo Freiheit sich bewährt, wird
sie bewahrt.“ Darum stellt er klar: „Soziale Gerechtigkeit ist liberal, wo sie
Voraussetzungen schafft, dass Menschen ihre Autonomie in menschenwürdiger Weise
ausüben können. Nachhaltigkeit ist liberal, wann immer sie dazu beiträgt, dass
alle Menschen – auch zukünftige – reale Lebenschancen erhalten. Und auch das
konservative Eintreten für Werte und Tugenden ist liberal, wo es die
Bereitschaft zur Selbstbeschränkung stärkt sowie unsere Fähigkeit, in Teams,
Gruppen und Gesellschaften mit Differenzen friedlich umzugehen, sich und die
eigenen Ansprüche zu mäßigen, tolerant, kooperativ und höflich zu sein.“
Publikation: Claus Dierksmeier: „Qualitative
Freiheit. Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung.“ Bielefeld 2016.
Kontakt:
Prof. Dr.
Claus Dierksmeier
Weltethos-Institut
An-Institut
der Universität Tübingen
Hintere
Grabenstrasse 26
D-72070
Tübingen
Telefon: +49
7071/5 49 40 30
https://www.facebook.com/cdierksmeier/
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