Themen von organisierter Kreativität über komplexe
Zuckerstrukturen bis zum Toleranzmanagement / Insgesamt 35 Millionen Euro für erste
Förderperiode
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet 14 neue Forschergruppen
und eine neue Klinische
Forschergruppe ein. Dies beschloss der Senat der DFG jetzt in Bonn. Die
Forschungsverbünde ermöglichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sich
aktuellen und drängenden Fragen ihrer Fachgebiete zu widmen und innovative
Arbeitsrichtungen zu etablieren. Klinische Forschergruppen sind zusätzlich
durch die enge Verknüpfung von wissenschaftlicher und klinischer Arbeit
charakterisiert. Die maximale Förderdauer von Forschergruppen wie auch von
Klinischen Forschergruppen beträgt zweimal drei Jahre. In der ersten
Förderperiode erhalten die 15 neuen Einrichtungen insgesamt rund 35 Millionen
Euro. Im Ganzen fördert die DFG damit aktuell 189 Forschergruppen sowie 16
Klinische Forschergruppen.
Die
neuen Forschergruppen im Einzelnen
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen)
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen)
In den
letzten 20 Jahren hat sich die Physik der Neutrinos innerhalb der
Teilchenphysik zu einem bedeutenden Forschungsfeld entwickelt. Gewürdigt wurde
die Neutrino-Forschung nicht zuletzt durch den Physik-Nobelpreis 2015 für den
Nachweis, dass Neutrinos eine Masse besitzen. Wie groß diese ist, kann derzeit
jedoch nur sehr grob eingeschränkt werden. Darüber hinaus sind noch viele weitere Parameter zu erforschen, die das
Verhalten der Neutrinos beschreiben – denn Neutrinos besitzen
Eigenschaften, die nicht durch das Standardmodell der Teilchenphysik erklärt
werden können. Die Forschergruppe „Bestimmung der Neutrino-Massenhierarchie
mit dem JUNO-Experiment“ widmet sich der offenen und für die
Neutrino-Physik dringenden Frage nach der sogenannten Hierarchie der
Neutrino-Massen, die das Verhältnis der Massen der verschiedenen Arten von
Neutrinos beschreibt.
(Sprecher:
Professor Dr. Achim Stahl, Sprecherhochschule: Rheinisch-Westfälische
Technische Hochschule Aachen)
Der Streit
um die Autorität des Vergangenen und das Recht des Neuen ist in der geistes-
und kulturwissenschaftlichen Forschung immer wieder als Wasserscheide zwischen
Vormoderne und Moderne hervorgehoben worden. Dagegen haben zahlreiche
Einzelstudien nachgewiesen, dass man von einem radikalen Bruch nicht ausgehen
kann, sondern längere Zeiträume und komplexere Vermittlungen in Betracht ziehen
muss. Die Forschergruppe „Diskursivierung von Neuem. Tradition und Novation
in Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ beabsichtigt, die
bisherige Einzelforschung auf eine systematische Grundlage zu stellen. In
Analysen vorwiegend literarischer Texte unterschiedlicher europäischer Sprach-
und Kulturräume vom 12. bis 18. Jahrhundert soll gezeigt werden, wie diese
Texte das Verhältnis von alt und neu theoretisch und praktisch gestalten. Auf
dieser Grundlage soll eine Neubestimmung kultureller Dynamiken jenseits der
theoretischen Opposition von Kontinuität und Bruch erarbeitet werden.
(Sprecher:
Professor Dr. Bernhard Huss, Sprecherhochschule: Freie Universität Berlin)
Der Begriff
„organisierte Kreativität“ erscheint widersprüchlich: Kreative Prozesse sind
per se unsicher und lassen sich nicht intentionell steuern. Trotzdem spielen
sie sich unter Netzwerken von Akteuren unterschiedlicher räumlich-zeitlicher
Kontexte ab, die einen gewissen Grad an Organisation aufweisen. Die
Forschergruppe „Organisierte Kreativität – Praktiken zur Induzierung von und
zum Umgang mit Unsicherheit“ will die gesellschaftlichen Strukturen und
Praktiken untersuchen, in und mit denen Unsicherheit im kreativen Prozess
gefördert, kanalisiert oder verhindert wird. Sie erforscht diese Dynamiken am
Beispiel der Musik- und der Pharmaindustrie.
(Sprecher:
Professor Dr. Jörg Sydow, Sprecherhochschule: Freie Universität Berlin)
Die
Forschergruppe „Rough Paths, Stochastic Partial Differential Equations and
Related Topics” will die mathematische Theorie sogenannter „rauer Pfade”
auf stochastische partielle Differentialgleichungen (SPDE) anwenden und widmet
sich der Untersuchung von Regularitätsstrukturen, die eine mehrdimensionale
Erweiterung der Rough-Path-Theorie darstellen. Mithilfe der Theorie der rauen
Pfade kann die herrschende Kluft zwischen gewöhnlichen und stochastischen
Differentialgleichungen überwunden werden. Solche Gleichungen werden bei der
Modellierung zeitabhängiger Vorgänge, die zufälligen Einflüssen unterliegen und
bei denen keine besonderen Glattheitsvoraussetzungen mehr gelten, in den
Natur-, Ingenieur-, aber auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
benötigt. Die qualitativen Eigenschaften von SPDE mit rauer Störung, ihre
Dynamik und Numerik sind größtenteils noch völlig unbekannt. Es eröffnen sich
damit neue Fragestellungen, denen die Mitglieder der Forschergruppe nachgehen
werden.
(Sprecher:
Professor Dr. Peter Karl Friz, Sprecherhochschule: Technische Universität
Berlin)
G-Protein-gekoppelte
Rezeptoren sind Proteine, die bei der Signalweiterleitung vom Äußeren einer
Zelle in ihr Inneres eine zentrale Rolle spielen. Ihre Funktion ist auf der
Innenseite der Zellmembran an die Wechselwirkung mit den sogenannten
G-Proteinen gebunden. Wie genau dieses Wechselspiel zwischen Rezeptoren und
G-Proteinen funktioniert ist bislang wenig erforscht. Dieser Frage widmet sich
die Forschergruppe „G-Protein Signalkaskaden: mit neuen molekularen Sonden
und Wirkstoffen zu neuen pharmakologischen Konzepten“. Die Forscherinnen
und Forscher aus Chemie, Pharmazie, Pharmakologie und Physiologie konzentrieren
ihre Untersuchungen dabei in einem neuen Ansatz auf die G-Proteine und nicht
auf die bereits gut erforschten Rezeptoren. Sie verfolgen das Ziel, selektiv
die Rolle einzelner G-Proteine bei der Signalweiterleitung zu ergründen.
Mittelfristig soll herausgefunden werden, ob sich die G-Proteine als Ziele für
medikamentöse Therapien eignen.
(Sprecherin:
Professor Dr. Evi Kostenis, Sprecherhochschule: Rheinische
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
Die
Forschergruppe „Prozessorientiertes Toleranzmanagement mit virtuellen
Absicherungsmethoden“ untersucht die Festlegung, Abstimmung und Prüfung von
Toleranzen im Entstehungsprozess eines Produkts. Ziel ist es, Vorgehensweisen
und Werkzeuge für die Steuerung geometrischer und funktionaler Abweichungen
bereitzustellen. Erforscht werden soll dabei die enge Verzahnung zwischen
Produktentwicklung und Fertigung sowie der dazu verfügbaren
Simulationstechniken: In allen Produktionsschritten sollen gemeinsam die
fertigungs-, prüf- und funktionsgerechten Toleranzen erarbeitet werden. Mit
diesem Vorgehen lassen sich, so die These der Forschergruppe, alle fertigungs-
und montagebedingten Ursachen für spätere Funktionseinschränkungen und
Qualitätsminderungen identifizieren und somit bereits in frühen Phasen der
virtuellen Produkt- und Prozessentwicklung berücksichtigen.
(Sprecher:
Professor Dr.-Ing. Sandro Wartzack, Sprecherhochschule:
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)
Unter
Denitrifikation versteht man die mikrobielle Umwandlung des im Nitrat
gebundenen Stickstoffs zu gasförmigem Stickstoff und zu Stickoxiden. Trotz
jahrzehntelanger intensiver Forschung kann die Bedeutung der Denitrifikation
für den Klimawandel aufgrund der Komplexität des Gesamtprozesses und der
starken zeitlichen und räumlichen Variabilität noch nicht zuverlässig
vorhergesagt werden. Die Forschergruppe „Denitrification in Agricultural
Soils: Integrated Control and Modelling at Various Scales (DASIM)”
beleuchtet mithilfe analytischer und molekularbiologischer Methoden sowie unter
Einbeziehung von Mesokosmenexperimenten und verschiedener Modellansätze den
Prozess der Denitrifikation von der Mikroskala zur Feldskala.
(Sprecher:
Professor Dr. Christoph Müller, Sprecherhochschule: Justus-Liebig-Universität
Gießen)
Primär
Sklerosierende Cholangitis, kurz PSC, ist eine seltene chronische, vernarbende
Erkrankung der Gallengänge in und außerhalb der Leber. Die Krankheit geht
oftmals mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung einher. Sie befällt
vor allem junge Erwachsene und führt innerhalb von zehn bis 20 Jahren zu einer
Leberzirrhose. Obwohl die Krankheit nicht selten tödlich endet, ist ihr Verlauf
weitgehend unerforscht. Um dies zu ändern, wurde das YAEL-Centrum für
Autoimmune Lebererkrankungen am Standort Hamburg als Teil des
Martin-Zeitz-Centrums für Seltene Erkrankungen etabliert. Dort werden jährlich
über 200 Patienten mit PSC behandelt – sie bilden die entsprechenden
Patientenkohorten für klinische Studien, anhand derer die Klinische
Forschergruppe „Primär Sklerosierende Cholangitis“ die titelgebende
Krankheit erforschen wird.
(Sprecher:
Professor Dr. Ansgar W. Lohse, Sprecherhochschule: Universität Hamburg)
Die
Forschergruppe „Erfassung und Steuerung dynamischer lokaler Prozesszustände
in Mikroreaktoren mittels neuer in-situ-Sensorik“ verknüpft die organische
Chemie mit ingenieurtechnischen Aspekten, online-analytischen Verfahren und der
Prozessselbstoptimierung, um Mehrphasenprozesse zu beschreiben und zu
verstehen. Dabei wird das Ziel, eine neue in-situ-Analytik zu entwickeln und
Prozesszustände nicht nur zu erfassen, sondern künftig auch zu steuern, an vier
verschiedenen Anwendungsbeispielen erprobt: an Verdampfungsprozessen, an einer
heterogen katalysierten Mehrphasenreaktion, an der Fotochemie und der Synthese
von Nanopartikeln. Mit ihren Teilprojekten bildet die Forschergruppe den
mehrstufigen Prozess von der Modellierung bis zur maßgeschneiderten Fertigung
durch Mikrosensorik ab.
(Sprecher:
Professor Dr.-Ing. Roland Dittmeyer, Sprecherhochschule: Karlsruher Institut
für Technologie)
Welche
sozialen und ökologischen Auswirkungen hat das Wachstum von Städten, unter
anderem durch hinzuziehende Landbewohnerinnen und -bewohner? Am Beispiel der
indischen Metropole Bangalore untersucht die Forschergruppe „Social-Ecological
Systems in the Indian Rural-Urban Interface: Functions, Scales, and Dynamics of
Transition“ Übergangsprozesse an der Schnittstelle zwischen Land und Stadt
aus einer agrarwissenschaftlichen Perspektive. In enger Kooperation mit
indischen Partnern analysieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus
Bodenphysik, Pflanzenbau,
Landschaftsökologie, Humangeografie, Forstwissenschaften, Agrarökonomie
und Tierproduktion unter Anwendung der sozialökologischen Theorie verschiedene
Aspekte der Ressourcennutzung in landwirtschaftlichen Produktionssystemen.
Erforscht werden zudem das Ernährungsverhalten und die Dienstleistungsentscheidungen
indischer Haushalte.
(Sprecher:
Professor Dr. Andreas Bürkert, Sprecherhochschule: Universität Kassel)
Wieso
fragen wir? Die Bedeutung einer Frage liegt oftmals nicht in der Schließung
einer faktischen Wissenslücke allein, denn Fragen bieten für die Interaktion
verschiedenste Potenziale. Die Forschergruppe „Fragen an den Schnittstellen“
beschäftigt sich unter Berücksichtigung theoretisch-linguistischer Ansätze
und experimenteller Verfahren mit Äußerungen wie rhetorischen Fragen,
Echo-Fragen („Du hast was?“) oder Fragen, die man an sich selbst richtet („So,
wie ging das jetzt nochmal?“). In den Teilprojekten werden Form- und
Bedeutungszusammenhänge zugleich unter syntaktischen, prosodischen und
pragmatischen Aspekten beschrieben und analysiert. Eine Hypothese der
Forschergruppe lautet dabei, dass die Bestandteile der Grammatik – von der Wortwahl,
über den Satzbau bis zur Betonung – in kompositioneller Weise die Bedeutung
einer Frage bestimmen.
(Sprecherin:
Professor Dr. Miriam Butt, Sprecherhochschule: Universität Konstanz)
An der
Schnittstelle zwischen vaskulärer Biologie und Neurobiologie wird die neue
Forschergruppe „Interactions at the Neurovascular Interface“ arbeiten.
Sie untersucht das Blutgefäßsystem und das Nervensystem, die in ihren stark
verzweigten Netzwerken miteinander in engem Kontakt stehen. Dabei reagieren
Blutgefäße und Neuronen auf ähnliche Navigationswegweiser und instruktive
Signale. Die enge Verknüpfung von Blutgefäß- und Nervensystem bedeutet aber
auch, dass Defekte innerhalb dieser neurovaskulären Einheit an
neurodegenerativen Erkrankungen beteiligt sind. Mit ihrer Forschung zu Bildung
und Erhaltung der neurovaskulären Einheit wollen die beteiligten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler letztlich auch zu einem besseren
Verständnis dieser Krankheiten beitragen.
(Sprecher:
Professor Dr. Ralf H. Adams, Sprecherinstitutionen: Westfälische
Wilhelms-Universität Münster und Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin,
Münster)
Osteoarthritis,
auch bekannt unter dem Namen Arthrose, gilt weltweit als die häufigste
Gelenkerkrankung des erwachsenen Menschen. Es handelt sich dabei um eine
degenerative Gelenkerkrankung, die mit Schmerzen und Funktionseinschränkungen
einhergeht – betroffen sein können davon alle Gelenke. Die Forschergruppe „Exploring
Articular Cartilage and Subchondral Bone Degeneration and Regeneration in
Osteoarthritis (ExCarBon)” untersucht mit einer Kombination aus
grundlagenwissenschaftlichen und klinischen Ansätzen, wie die zellbasierten De-
und Regenerationsprozesse im Gelenk unter biomechanischer Belastung ablaufen.
An den Untersuchungen beteiligen sich Forscherinnen und Forscher aus
Zellbiologie, Mausgenetik, Neurophysiologie, Unfallchirurgie und der
Nanotechnologie.
(Sprecherin:
Professor Dr. Susanne Grässel, Sprecherhochschule: Universität Regensburg)
Für
immunologische Fragestellungen wird es immer wichtiger, die Bedeutung von
Zuckerstrukturen besser zu verstehen. Die Forschergruppe „VIROCARB: Glycans
Controlling Non-Enveloped Virus Infections“ auf dem Feld der gerade
entstehenden Glykovirologie untersucht die Struktur von Glykanen, das sind
komplexe Zuckerstrukturen. Sie sind an der Zelloberfläche an Proteine oder
Lipide angedockt und dienen bestimmten Viren als Zielstruktur für das Anheften
an und den Eintritt in die Zelle, um sie zu infizieren. Neben der strukturellen
Beschreibung der Glykanstrukturen will die interdisziplinäre Forschergruppe –
unter Beteiligung der Virologie, Zellbiologie, Strukturbiologie und der
Synthesechemie – auch die Mechanismen der Interaktion aufklären, beispielsweise
die Funktion von Glykanen für die Zell-Virus-Interaktion mithilfe von
Massenspektrometrie und NMR-Spektroskopie.
(Sprecher:
Professor Dr. Thilo Stehle, Sprecherhochschule: Eberhard Karls Universität
Tübingen)
Die Physik
ist aktuell von einer wissenschaftstheoretisch interessanten Spannung geprägt:
Einerseits erwarten viele Physikerinnen und Physiker eine Ablösung des
Standardmodells durch eine umfassendere und fundamentalere Theorie der Natur –
andererseits sind die Anlagen und Prozesse der heutigen experimentellen
Forschung von extremer Komplexität gezeichnet. Wie lässt sich in dieser
Situation durch experimentelle Forschung theoretischer Fortschritt erzielen?
Auf diese Frage suchen Expertinnen und Experten aus der
Wissenschaftsphilosophie, -soziologie, -geschichte und aus der Physik im Rahmen
der Forschergruppe „The Epistemology of the Large Hadron Collider“
Antworten. Die konzentrierten Forschungstätigkeiten rund um den Großen
Hadronen-Speicherring (LHC) am CERN in Genf bieten ihnen dabei das
Anschauungsmaterial, um metawissenschaftliche Fragestellungen zur Modell- und
Theorieentwicklung zu bearbeiten.
(Sprecher: Professor Dr. Gregor Schiemann, Sprecherhochschule: Bergische
Universität Wuppertal)
Weiterführende
Informationen
Medienkontakt:
Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit der DFG, Tel. +49 228 885-2443, presse@dfg.de
Ausführliche
Informationen erteilen auch die Sprecherinnen und Sprecher der eingerichteten
Gruppen.
Zu
Forschergruppen und Klinischen Forschergruppen siehe: