![]() |
Künstlerische Darstellung einer
protoplanetaren Scheibe
(Pat Rawlings / NASA)
|
Presseportal
für Hochbegabung
Wie sich Sterne und Schwarze Löcher im Universum aus
rotierender Materie bilden können, ist eine der großen Fragen in der
Astrophysik. Unstreitig ist, dass Magnetfelder hier eine entscheidende Rolle
spielen. Diese können nach bisheriger Auffassung aber nur wirken, wenn die
Materie elektrisch gut leitfähig ist, was aber etwa in protoplanetaren Scheiben
zumindest nicht überall der Fall ist. Die aktuelle Veröffentlichung von
Physikern aus dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) in der
Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ zeigt, wie Magnetfelder auch in
solchen „toten Zonen“ (dead zones) Turbulenzen hervorrufen können und trägt so
wesentlich zum Verständnis der Entstehungsprozesse von kompakten Objekten im
Kosmos bei.
Als Johannes Kepler Anfang des 17. Jahrhundert seine
Bahngesetze aufstellte, konnte er die bedeutende Rolle kosmischer Magnetfelder
für die Entstehung von Planetensystemen nicht erahnen. Heute wissen wir, dass
sich ohne Magnetfelder Masse gar nicht in kompakten Gebilden wie Sternen und
Schwarzen Löchern konzentrieren könnte. Unser Sonnensystem etwa bildete sich
vor 4,6 Milliarden Jahren durch den Einsturz einer gigantischen Gaswolke. Von
der Schwerkraft der Wolke wurden die Teilchen in das Zentrum gezogen und so
entstand schließlich eine große Scheibe.
„Solche Akkretionsscheiben sind aus hydrodynamischer
Sicht extrem stabil, weil der Drehimpuls gemäß der Kepler’schen Bahngesetze
nach außen hin anwächst. Man spricht hier von der Kepler-Rotation“, erklärt Dr.
Frank Stefani vom HZDR. „Um die hohen Wachstumsraten von Sternen und Schwarzen
Löchern zu erklären, muss es einen Mechanismus geben, der die rotierende
Scheibe destabilisiert und damit gleichzeitig dafür sorgt, dass Masse nach
innen und der Drehimpuls nach außen transportiert wird“, führt er weiter aus.
Magnetische Felder können, wie bereits 1959 von Evgenij
Velikhov theoretisch vorhergesagt, in einer stabilen Strömung Turbulenz
entfachen. Die fundamentale Bedeutung dieser sogenannten
Magneto-Rotationsinstabilität (MRI) für die kosmische Strukturbildung wurde
durch die Astrophysiker Steven Balbus und John Hawley aber erst
1991 erkannt, wofür sie im September 2013 den mit einer
Million Dollar dotierten „Shaw Prize“ für Astronomie erhalten. Damit die MRI
funktioniert, müssen die Scheiben aber eine minimale elektrische Leitfähigkeit
aufweisen. In Gebieten geringer Leitfähigkeit, wie z.B. in den „toten Zonen“
protoplanetarer Scheiben oder in den weit außen liegenden Gebieten der
Akkretionsscheiben um supermassive Schwarze Löcher, ist die Wirkung der MRI
numerisch nur schwer nachzuvollziehen und deshalb auch umstritten. Ein neuer
theoretischer Erklärungsansatz kommt jetzt von Wissenschaftlern des HDZR, die
sich bis dato vor allem mit der experimentellen Untersuchung der MRI
beschäftigt hatten.
Wettstreit zwischen Physikern und Astrophysikern
Wenn man versucht, die MRI in einem
Flüssigmetall-Experiment mit einem ausschließlich in vertikaler Richtung
angelegten Magnetfeld – so die reine astrophysikalische Lehre – nachzustellen,
dann muss dieses Magnetfeld sehr stark sein. Da gleichzeitig auch die
Rotationsgeschwindigkeit sehr hoch sein muss, sind derartige Experimente extrem
aufwendig und bisher noch nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Mit einem Trick war
es Dr. Stefani zusammen mit seinen Kollegen vom HZDR sowie vom Leibniz-Institut
für Astrophysik in Potsdam im Jahr 2005 erstmals gelungen, den Himmelsprozess
im Labor nachzustellen. Indem sie das senkrechte durch ein kreisförmiges
Magnetfeld ergänzten, konnten sie die MRI schon bei wesentlich geringeren
Magnetfeldstärken und Rotationsgeschwindigkeiten beobachten. Ein
Schönheitsfehler dieser „helikalen MRI“, so Steven Balbus und Hantao Ji in der
aktuellen Augustausgabe der Zeitschrift „Physics Today“, ist die Tatsache, dass
sie nur relativ steil nach außen abfallende Rotationsprofile zu destabilisieren
vermag, zu denen die Kepler-Rotation zunächst einmal nicht gehört.
Magnetfelder und Strömungen schaukeln sich gegenseitig
auf
Diesem gewichtigen Argument aus der Astrophysik setzen
die HZDR-Wissenschaftler nun ihre neuesten Erkenntnisse entgegen. Die
Berechnungen von Dr. Oleg Kirillov und Dr. Frank Stefani zeigen, dass die
helikale MRI sehr wohl für Kepler‘sche Rotationsprofile anwendbar ist, wenn nur
das kreisförmige Magnetfeld nicht komplett von außen, sondern wenigstens zu
einem kleinen Teil auch in der Akkretionsscheibe selbst erzeugt wird. „Dies ist
in der Tat ein viel realistischeres Szenario. Im Extremfall, dass gar kein
vertikales Feld vorhanden ist, haben wir es mit einer Henne-Ei-Problematik zu
tun. Ein kreisförmiges Magnetfeld destabilisiert die Scheibe und die
entstehende Turbulenz generiert Komponenten von vertikalen Magnetfeldern. Die
wiederum reproduzieren durch die besondere Form der Rotationsbewegung der
Scheibe das kreisförmige Magnetfeld.“ Ob mit oder ohne vertikales Magnetfeld:
Die aktuellen Berechnungen zeigen, dass die MRI durchaus
auch in Gebieten geringer Leitfähigkeit wie etwa in den „toten Zonen“ möglich
sein kann, in denen Astrophysiker sie bisher nicht vermutet hatten.
Motiviert wurden die HZDR-Wissenschaftler durch ihre
langjährige Erfahrung mit Laborexperimenten zu kosmischen Magnetfeldern,
angefangen bei einem Modell des Erddynamos über die
Magneto-Rotationsinstabilität bis hin zur Tayler-Instabilität. Letztere wird
von Astrophysikern unter anderem in Bezug auf kosmische Jets und die Entstehung
von Neutronensternen diskutiert, muss aber etwa auch bei der Konstruktion
großer Flüssigmetall-Batterien beachtet werden. Derzeit planen die
Wissenschaftler ein großes Experiment mit flüssigem Natrium, das sie im Rahmen
des DRESDYN-Projektes in den nächsten Jahren realisieren wollen.
„Wenn wir dieses Experiment, das erstmalig die MRI mit
der Tayler-Instabilität kombiniert, zum Laufen bringen, können wir das
Zusammenwirken von unterschiedlichen magnetischen Phänomenen im Kosmos noch
viel besser verstehen“, freut sich Stefani. Egal, wer im freundschaftlichen
Wettstreit die Nase vorne hat, die experimentellen Physiker aus dem
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf oder die theoretischen Astrophysiker aus
Amerika, der Drehimpuls-Transport in der Astrophysik und im Labor wird weiter
ein spannendes Thema bleiben.
Publikationen:
O.N. Kirillov, F. Stefani: Extending the range of the
inductionless
magnetorotational instability, in Physical Review Letters
111 (2013), S.
061103, DOI-Link: http://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRevLett.111.061103
H. Ji, S. Balbus: Angular momentum transport in
astrophysics and in the
lab, in Physics Today, August 2013, S. 27 - 33.
Bildunterschrift:
Künstlerische Darstellung einer protoplanetaren Scheibe
(Pat Rawlings /
NASA)
Weitere Informationen:
Dr. Frank Stefani
Institut für Fluiddynamik im HZDR
Tel.: 0351 260 - 3069 | f.stefani@hzdr.de
Medienkontakt:
Dr. Christine Bohnet
Pressesprecherin
Tel. 0351 260 - 2450 oder 0160 969 288 56 | c.bohnet@hzdr.de | www.hzdr.de
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht
auf den Gebieten
Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen
stehen hierbei
im Fokus:
* Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher
und nachhaltig?
* Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert,
charakterisiert und
wirksam behandelt werden?
* Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem
Einfluss hoher
Felder und in kleinsten Dimensionen?
Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen werden
fünf Großgeräte
mit einzigartigen Experimentiermöglichkeiten eingesetzt,
die auch
externen Nutzern zur Verfügung stehen.
Das HZDR ist seit 2011 Mitglied der
Helmholtz-Gemeinschaft, der größten
Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Es hat vier
Standorte in
Dresden, Leipzig, Freiberg und Grenoble und beschäftigt
rund 1.000
Mitarbeiter – davon ca. 450 Wissenschaftler inklusive 160
Doktoranden.