Fotograf Leo Pompinon
Hochbegabungspresse Viele
Angebote in Bibliotheken sind nur durch die Arbeit von Ehrenamtlichen möglich.
Bundesweit engagieren sich mehrere zehntausend Menschen in diesem Bereich. Sie
lesen Schulkindern vor oder helfen bei den Hausaufgaben. In vielen ländlichen
Gebieten managen sie sogar die gesamte Bibliothek. Damit dieser Einsatz für
alle Beteiligten gelingt, ist viel Know-how und Fingerspitzengefühl nötig.
Bis sich die bunte Kinderschar zu einer ruhigen
Gruppe von Zuhörern mausert, dauert es meist ein paar Minuten. Einige der
Sechs- bis Neunjährigen turnen noch ein bisschen, andere erzählen sich etwas.
Doch als ihre Vorleserin das Wort ergreift, wandelt sich das turbulente Chaos
blitzschnell in gespannte Ruhe. Denn heute steht ein neues Abenteuer der
Piratentochter Pippi Langstrumpf auf dem Programm – und da will keiner der
kleinen Zuhörer auch nur eine Zeile verpassen.
Das Projekt Lesewelten ist eine Vorlese-Initiative
der Stadtbibliothek und der Freiwilligen-Agentur Kölns. „Es ist ein ganz
wichtiges Angebot zur Lese- und Sprachförderung“, sagt Judith Petzold, die
Kommunikationsleiterin der Bibliothek. „Durch das Vorlesen vermitteln wir den Kindern
von klein auf Spaß an der Literatur und ein Gefühl für Sprache.“ Doch aus
eigenen Mitteln könnte die Bibliothek einen solchen Aufwand nie bewältigen.
Möglich machen das rund 50 speziell geschulte Kölner Bürger, die regelmäßig und
ehrenamtlich kommen, um die Kinder eine Stunde lang in die fantastischen Welten
zu entführen.
Ehrenamtliches Engagement spielt in der
Bibliotheksarbeit eine wichtige Rolle. Mehrere zehntausend Menschen spendieren
bundesweit einen Teil ihrer Freizeit, um sich in den Bildungs- und
Kultureinrichtungen gänzlich ohne kommerzielles Interesse zu betätigen. Sie
lesen Kita- oder Schulkindern vor, sie helfen bei den Hausaufgaben oder bringen
Bücher, CDs oder DVDs zu Menschen, die selbst nicht mehr in die Bibliothek
kommen können. „Mit ihrer Arbeit bereichern Ehrenamtliche den
Bibliotheksalltag“, sagt Ralph Deifel von der Bayerischen Staatsbibliothek und
Vorstandsmitglied beim Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv). „Doch damit
dieser Einsatz reibungslos läuft, ist auf beiden Seiten Einsatz und
Fingerspitzengefühl gefragt.“ An vielen Stellen müsse diese ganz spezielle
Zusammenarbeit fein justiert werden, um ein Gewinn für alle zu sein.
Vielfältige
Funktionen
Bürgerschaftliches Engagement ergänzt oder
unterstützt den Bibliotheksalltag vielerorts. „Die Leseförderung und die
Hausaufgabenbetreuung sind zwei der klassischen Bereiche, in denen
Ehrenamtliche zum Einsatz kommen“, sagt die Kölnerin Judith Petzold. „Hier
ergänzen sie unser Angebot, indem sie Aufgaben übernehmen, die nicht zu den Kernaufgaben
unserer hauptamtlichen Mitarbeiter zählen.“ Schließlich müssten die
Hauptamtlichen dort die fachlichen Tätigkeiten wie Ausleihe, Bestandserfassung
oder Auskunft erledigen.
In der Stadtbibliothek Köln sind insgesamt 87
Ehrenamtliche tätig. „Bürgerschaftliches Engagement hat in unserer Stadt
traditionell einen hohen Stellenwert“, sagt Petzold. „Deshalb haben wir stets
ausreichend Bewerber.“ So werde es möglich, verschiedene Projekte anzubieten.
Neben den Lesewelten trägt ein weiteres beispielsweise den Namen „Ran ans
Lesen“. Darin stellen ehrenamtliche Mitarbeiter einmal im Monat Kindern aus
offenen Ganztagsschulen drei Bücher zu einem Thema vor. „Das ist für die
Vorleser einiges an Aufwand“, sagt Petzold. „Schließlich müssen sie die Bücher
nicht nur vorstellen, sondern sie zuvor auch lesen und sich eine griffige
Zusammenfassung überlegen.“
Kommen sich die Haupt- und die Ehrenamtlichen dabei
nicht schnell in die Quere? „Die Verzahnung der Tätigkeiten funktioniert bei
uns ausgezeichnet“, sagt Judith Petzold. „Denn die Aufgaben sind klar
voneinander abgegrenzt.“ So würden beispielsweise im „Ran-ans-Lesen-Projekt“
die drei Bücher von hauptamtlichen Mitarbeitern ausgesucht. „Das ist
schließlich eine fachliche Aufgabe, für die man eine spezielle Ausbildung
braucht“, sagt Petzold. Das Vorstellen der Bücher übernähmen dann die
Ehrenamtlichen, die wiederum für diese Tätigkeit geschult worden seien.
Ohne
Ehrenamt keine Grundversorgung auf dem Land
„Die Aufgaben, die Ehrenamtliche für die
Bibliotheken übernehmen, sind enorm wichtig“, sagt auch Ralph Deifel. „Gerade
in ländlichen Bereichen gehen ihre Aufgaben oft über diese Zuarbeit weit
hinaus.“ Dort übernähmen sie auch leitende Funktionen in kleinen Büchereien. So
sei sichergestellt, dass es in diesen Gegenden überhaupt eine
Bibliotheksversorgung gebe.
Die Rolle von Ehrenamtlichen könne man in diesem
Bereich nicht hoch genug schätzen, sagt Claudia Lutz, die stellvertretende
Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Literaturportals. „Ohne deren Engagement
könnten wir unser Angebot in vielen Gegenden nicht anbieten.“ In den
öffentlichen Bibliotheken in kirchlicher Trägerschaft sind überwiegend
Ehrenamtliche tätig. „Dort übernehmen sie oft die gesamten Aufgaben in
Bibliotheken.“ Das reiche von der Medienbeschaffung über die Ausleihe bis zur
Leitung. „Die Kirche arbeitet traditionell mit Ehrenamtlichen zusammen“, sagt
Claudia Lutz. „Da haben sie vielerorts eine tragende Rolle.“ In den gut 800
evangelischen Bibliotheken bundesweit engagieren sich knapp 5500 ehrenamtliche
Mitarbeiter. In den gut 3200 katholischen Büchereien sind es sogar über 30.000
Ehrenamtliche.
„Ohne die Arbeit der Ehrenamtlichen sähe es mit der
Bibliotheksversorgung in vielen ländlichen Bereichen düster aus“, sagt auch
Michael Sanetra, Referent der Geschäftsleitung im katholischen Sankt
Michaelsbund aus Bayern. „Man kann diesen Einsatz nicht hoch genug schätzen.“
Doch gleichwohl gäbe es auch Grenzen. Ab einer gewissen Größenordnung müsse
eine Bibliothek von hauptamtlichem Personal geleitet werden. „Bei einer
bestimmten Zahl von Öffnungsstunden oder bei einem bestimmten Medienbestand ist
das keine Aufgabe mehr, die man ausschließlich ehrenamtlich erfüllen kann“,
meint Sanetra.
Diese Einschätzung teilt der dbv. Er fordert deshalb
für Gemeinden ab 5000 Einwohnern flächendeckend den Betrieb hauptamtlich
geleiteter Bibliotheken. „Fachpersonal ist in diesen Bibliotheken
unverzichtbar“, sagt Ralph Deifel. „Ein Bauamt würde man doch auch nicht durch
einen Hobby-Handwerker leiten lassen.“
Gerade in größeren Kommunen, die Sparzwängen
unterlägen, würden auch immer wieder Überlegungen laut, die Bibliotheksarbeit
komplett auf Ehrenamtliche zu übertragen, weiß Michael Sanetra. „Doch das wäre
fatal.“ Ehrenamtlichkeit dürfe nicht als Alibi missbraucht werden. „Wer auf diese
Weise Kosten einsparen wollte, würde zugleich auch unweigerlich die schon
bestehende bibliothekarische Qualität vor Ort beschneiden.“
Gerade von den kirchlichen Büchereiverbänden werden
die Ehrenamtlichen speziell auf ihre Aufgaben vorbereitet. Neben dem
persönlichen Austausch sowie einzelnen Fortbildungen und Veranstaltungen gibt
es auch Grundkurse. In den evangelischen kirchlichen Einrichtungen
beispielsweise dauern sie acht Tage. „Darin werden die Grundlagen der
Bibliotheksarbeit vermittelt“, sagt Claudia Lutz. Für die ehrenamtlich
geführten Bibliotheken gebe es die Empfehlung, dass mindestens einer der
Mitarbeiter einen solchen Kurs besucht haben sollte. Ähnlich ist es in den
katholischen Einrichtungen. Dort umfasst ein Grundkurs zwölf Unterrichtseinheiten.
Darüber hinaus können sich Ehrenamtliche für evangelische Bibliotheken in einem
drei Jahre lang laufenden Kurs zur Fachkraft für Bücherei-Arbeit qualifizieren.
Für die Arbeit in den katholisch getragenen Büchereien wird die Ausbildung zum
Bücherei-Assistenten angeboten. In rein ehrenamtlich getragenen Bibliotheken
werden die Mitarbeiter zudem von Verbänden, staatlichen oder kirchlichen
Fachstellen oder anderen hauptamtlichen Stellen intensiv unterstützt.
Eine
persönliche Bereicherung für alle
Den Wert ehrenamtlichen Engagements wissen die
Bibliothekare landauf landab zu schätzen. „Eine bundesweite Umfrage unter
Bibliothekaren hat durchweg eine positive Einschätzung ergeben“, sagt Ralph
Deifel. Acht von zehn Befragten meinten demnach zum Beispiel, dass
Ehrenamtliche wichtige Brücken in die Zivilgesellschaft bauen und das Image der
Bibliotheken verbessern. Fast ebenso viele meinten, dass die Zufriedenheit der
Kunden steigt. „Diese Erfahrungen können wir nur bestätigen“, sagt Judith
Petzold aus Köln. Zudem sei die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen immer auch
eine persönliche Bereicherung für die hauptamtlichen Mitarbeiter.
Die hohe Bedeutung der bürgerschaftlichen
Engagements hat Bundespräsident Joachim Gauck Anfang Dezember gerade erst
wieder betont als er 26 Ehrenamtlichen den Verdienstorden der Bundesrepublik
Deutschland verliehen hat. „Das ist eine wichtige Wertschätzung“, sagt Michael
Sanetra. „Es muss ja nicht immer gleich ein Orden sein. Aber eine angemessene
Anerkennung ist wichtig und richtig.“ Die Dankbarkeit könne man auch über
gemeinsame Feste oder über Einladungen zum Ausdruck bringen.
Meist sind es Menschen, deren Lebenssituation es
zulässt, anderen Menschen einen Teil ihrer Zeit zu widmen. „Man muss auch klar
sehen, dass das Ehrenamt in Bibliotheken fast ausschließlich von Frauen
getragen wird“, sagt Michael Sanetra. Sie engagierten sich etwa in ihrer
Familienphase oder wenn sie neben ihrem Beruf etwas zum Gemeinwohl beitragen
wollten. „Ich mache zudem die Erfahrung, dass sich das Ansehen ehrenamtlicher
Tätigkeit derzeit wandelt“, sagt Claudia Lutz. „Mein persönlicher Eindruck ist
es, dass vermehrt jüngere Menschen zu uns kommen.“
Immer
wieder sonntags
Wie vielfältig die Aufgaben der Ehrenamtlichen sind,
zeigt ebenfalls die Stadtbibliothek Köln. Im Stadtgarten steht ein
ungewöhnliches kleines Holzhäuschen, das Bücherbüdchen „minibib“. Dort stehen
rund 1000 Bücher für eine besondere Ausleihe bereit: Ohne Ausweis und
Registrierung können sich die Besucher kostenlos eines der Bücher mitnehmen.
Spätestens nach zwei Wochen sollen sie es einfach wieder zurück bringen. „Das
funktioniert erstaunlich gut“, erzählt Karin Odening. „Nach unseren
Aufzeichnungen kommen tatsächlich neun von zehn Büchern zurück.“ Die 46-Jährige
ist eine von insgesamt 15 Ehrenamtlichen, die den Betrieb der minibib aufrecht
erhalten. Jeden zweiten Sonntag verbringt sie einige Stunden hier.
„Ich habe schon längere Zeit nach einer Möglichkeit
gesucht, mich ehrenamtlich zu engagieren“, sagt die gelernte Buchhändlerin.
„Als ich dann von einer Freundin von der Arbeit in der minibib gehört habe, war
ich von Anfang an begeistert.“ Da Karin Odening ganztags in einem Verlag
arbeitet, spendiert sie nun jeden zweiten Sonntag einen Teil ihres Nachmittags.
In der minibib nimmt sie ausgeliehene Bücher zurück,
erklärt neuen Besuchern das Konzept oder sortiert die Bestände. „Diese Aufgabe
ist sehr vielfältig“, sagt sie. Im Sommer kämen Besucher, um sich für einige
Stunden ein Buch auszuleihen, das sie dann im Park lesen. In den Schulferien
gebe es Vorlese-Aktionen für Kinder. „Mir macht der Austausch mit so vielen
unterschiedlichen Menschen großen Spaß“, sagt Karin Odening.
Viele der Bücher in der „minibib“ sind gespendet
worden. Einige stammen aus der Auflösung anderer Bibliotheksbestände oder den
Beständen von Bücherbussen. „Neuwertig und aktuell sollten die geschenkten
Bücher schon sein“, sagt Karin Odening. „Schließlich wollen wir unseren
Besuchern ein attraktives Angebot machen.“ Eine Ecke ist ausschließlich mit
Kinder- und Jugendbüchern gefüllt. „Die minibib ist damit auch ein Instrument
der Leseförderung“, sagt Judith Petzold. „Wer hier den Spaß an Literatur
entdeckt, hat später sicherlich auch Lust, öfter mal in die Stadtbibliothek zu
kommen.“ Ohne die Ehrenamtlichen würde hier eine große Lücke klaffen.
Weitere Informationen:
http://www.bibliotheksverband.de/dbv/themen/ehrenamt-in-bibliotheken.html
(Autor: dbv,
Textlänge: 11.327 Zeichen, inkl. Leerzeichen)
Kasten:
Um in Bibliotheken ehrenamtlich tätig zu werden,
sollten Interessenten über folgende Fähigkeiten verfügen:
- Spaß an Literatur und am Lesen
- Freude am Umgang mit Menschen
- Flexibilität und die Bereitschaft, an Schulungen
teilzunehmen (auch an EDV)
- Zuverlässigkeit
- Gern gesehen sind spezielle Fähigkeiten etwa in
bestimmten Schulfächern für die Hausaufgabenbetreuung
(Autor: dbv, Textlänge Kasten: 366 Zeichen, inkl.
Leerzeichen)
Die bundesweite Aktionswoche
„Treffpunkt Bibliothek“ wurde in diesem Jahr bereits zum fünften Mal vom
Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) koordiniert. Vom 24. bis 31. Oktober
2012 präsentierten sich Bibliotheken in ganz Deutschland als Partner für
Medien- und Informationskompetenz sowie für Bildung und Weiterbildung. Sie
veranstalteten Lesungen, Ausstellungen, Workshops, Events, Bibliotheksnächte
und viele weitere Aktionen, die im gemeinsamen Terminkalender zu finden sind: www.treffpunkt-bibliothek.de.
Der
Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) sind ca.
2.000 Bibliotheken aller Sparten und Größenklassen Deutschlands
zusammengeschlossen. Der gemeinnützige Verein dient seit mehr als 60 Jahren der
Förderung des Bibliothekswesens und der Kooperation aller Bibliotheken. Sein
Anliegen ist es, die Wirkung der Bibliotheken in Kultur und Bildung sichtbar zu
machen und ihre Rolle in der Gesellschaft zu stärken. Zu den Aufgaben des dbv
gehört auch die Förderung des Buches und des Lesens als unentbehrliche
Grundlage für Wissenschaft und Information, sowie die Förderung des Einsatzes
zeitgemäßer Informationstechnologien.
Kontakt:
Deutscher Bibliotheksverband e.V.