Der europäische
Haustier-Handel gefährdet das Überleben seltener Reptilien-Arten
Einen Gecko fürs
Terrarium? Eine Schildkröte? Oder doch lieber eine Schlange? Reptilien sind
äußerst beliebte Haustiere, der Handel boomt. Zwischen 2004 und 2014 hat die EU
offiziell fast 21 Millionen lebende Exemplare importiert, mehr als sechs
Millionen davon sind auf dem deutschen Markt gelandet. Darunter sind auch viele
Vertreter von bedrohten Arten, mit denen sich extrem hohe Gewinne erzielen
lassen. Einige Sammler sind durchaus bereit, für solche Raritäten Preise von
einigen Tausend Euro zu bezahlen. Ein internationales Experten-Team um Mark
Auliya vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig hat nun die
Folgen solcher Geschäfte dokumentiert. Die große Nachfrage auf dem europäischen
Markt gefährdet bereits das Überleben etlicher Arten in aller Welt, warnen die
Forscher im Fachjournal Biological Conservation.
Sie gehören zu den
seltensten Reptilien der Welt. Nicht einmal 250 erwachsene
Schnabelbrust-Schildkröten sollen neusten Erhebungen zufolge noch durch die
Trockenwälder im Nordwesten Madagaskars krabbeln. Damit steht die Art mit dem
wissenschaftlichen Namen Astrochelys yniphora kurz vor dem Aussterben. Zwar
hatte die Regierung des Inselstaates 1997 eigens den Baly Bay Nationalpark
ausgewiesen, um die verbliebenen Tiere zu schützen. Und der internationale
Handel mit dieser Art ist komplett verboten. Doch das scheint Tierfänger und
Schmuggler nicht abzuschrecken. So wurden im März 2013 am Flughafen in Bangkok
54 Madagassische Schnabelbrust-Schildkröten beschlagnahmt. Die Nachfrage von
Reptilien-Fans aus Asien, Europa und den USA droht die Schutzbemühungen der
letzten 30 Jahre wieder zunichte zu machen.
Die Schildkröte ist
kein Einzelfall. Für ihre Studie haben 37 Wissenschaftler, Naturschützer und Zollbeamte aus 22
Ländern zahlreiche weitere Beispiele von Arten zusammengetragen, für die der
Haustier-Markt zu einem ernsthaften Problem geworden ist. Dabei soll das
Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES einen solchen Ausverkauf der Natur
eigentlich verhindern. Dieses Abkommen, das inzwischen 182 Staaten
einschließlich der EU unterzeichnet haben, reguliert den internationalen Handel
mit bedrohten Tieren und Pflanzen. In seinem Anhang I sind besonders stark
gefährdete Arten aufgelistet, die gar nicht mehr zu kommerziellen Zwecken ein-
und ausgeführt werden dürfen. Der Anhang II enthält zahlreiche weitere Spezies,
für deren Handel man eine spezielle Genehmigung braucht.
"Mehr als 90
Prozent der Reptilienarten werden von CITES allerdings gar nicht erfasst",
kritisiert Mark Auliya. Weltweit haben Biologen bisher mehr als 10.000
Vertreter dieser Tiergruppe beschrieben. Gerade einmal 793 davon fallen derzeit
unter die Handelsbeschränkungen. Viele andere bedrohte Reptilien, die auf der
Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN stehen, haben es bisher dagegen nicht
auf die CITES-Anhänge geschafft. Die Orlov-Viper Vipera orlovi zum Beispiel
gilt als vom Aussterben bedroht, nicht einmal 250 erwachsene Tiere kriechen
noch durch eine kleine Region im Kaukasus. Trotzdem ist der internationale
Handel mit diesen Schlangen nicht reguliert. Genauso wenig wie der mit
verschiedenen seltenen Geckos aus Madagaskar und Neukaledonien.
Gerade solche Arten
aber sind unter Sammlern besonders gefragt. Denn obwohl sie Seltenheitswert
haben, kann man sie trotzdem legal und ohne größeren bürokratischen Aufwand
erwerben. Warum also gilt CITES nicht für alle bedrohten Tiere und Pflanzen? "Das
liegt zum einen daran, dass der
internationale Handel nicht für jede gefährdete Art ein Problem
ist", erklärt Mark Auliya. Es gibt aber auch genügend Fälle, in denen die
Aufnahme auf die Anhänge nur an wirtschaftlichen Interessen oder mangelndem
politischem Willen scheitert.
Auch wenn eine Art
unter dem Schutz des Abkommens steht, ist sie damit allerdings nicht unbedingt
in Sicherheit. Immerhin gilt der illegale Handel mit Wildtieren mittlerweile
als ähnlich lukratives Verbrechen wie Drogen-, Waffen- und Menschenhandel.
Entsprechend groß ist der Anreiz, die Schutzbestimmungen zu umgehen. Eine
Möglichkeit sind zum Beispiel gefälschte Papiere. Da verwandelt sich dann eine
CITES-Art im Handumdrehen in einen ungeschützten Verwandten. Oder ein in freier
Natur gefangenes Tier in eine angebliche Nachzucht aus Gefangenschaft. Mit
diesem Trick gelangen zum Beispiel viele Warane aus Indonesien oder Chamäleons
aus Madagaskar auf den Markt.
Doch immer wieder gibt
es auch Fälle, in denen sich die Schmuggler gar nicht erst mit Papierkram
aufhalten. Da werden interessante Arten heimlich in Koffern oder am eigenen
Körper über die Grenzen geschafft, oft von eigens dafür angeheuerten
Schein-Touristen. Der Einfallsreichtum ist dabei erstaunlich. Im September 2007
wurde ein US-Amerikaner verhaftet, der drei Fidschi-Leguane der Art
Brachylophus bulabula in einer Beinprothese versteckt hatte. "Dieser
Schmuggel ist teilweise kartellartig organisiert", erklärt Mark Auliya.
Dabei wissen die Beteiligten sehr genau, mit welchen Tieren sich die höchsten
Preise erzielen lassen: Gefragt sind immer die Raritäten. Neben geschützten
Arten geraten deshalb oft auch wissenschaftliche Neuentdeckungen ins Visier.
Oder sogenannte Endemiten, die weltweit nur in einem sehr kleinen
Verbreitungsgebiet vorkommen. Kein Wunder also, dass der erst seit 2010
bekannte Gecko Cnemaspis psychedelica in kürzester Zeit populär geworden ist.
Schließlich schmückt sich dieses kleine Reptil nicht nur mit Farben wie aus
einem Drogenrausch, sondern lebt auch nur auf der gerade einmal acht
Quadratkilometer großen Insel Hon Khoai in Vietnam. Seit 2013 wird es in Europa
regelmäßig zum Verkauf angeboten - für 2500 bis 3000 Euro pro Paar.
"Regionen, in
denen viele solcher einzigartigen Reptilien leben, stehen besonders stark im
Fokus der Schmuggler", sagt Mark Auliya. Dazu gehören zum Beispiel Mexiko,
Sri Lanka oder Madagaskar. In vielen betroffenen Ländern machen Armut,
schlechte Ausstattung der Behörden und mangelnde Kontrollen die illegalen
Geschäfte besonders leicht. Doch selbst in Australien oder Neuseeland, die
strenge Schutzgesetze und eine gut funktionierende Strafverfolgung haben,
bleibt die einmalige Fauna nicht verschont.
Gerade für Arten mit
kleinen Beständen und eng begrenzten Verbreitungsgebieten kann der Reptilienschmuggel
der Studie zufolge dramatische Folgen haben. Doch auch größere Populationen
verkraften oft keine zu intensive Nutzung. So werden Schildkröten und große
Echsen sehr alt und vermehren sich nur langsam. Massenhafte Verluste durch
Tierfänger können ihre Bestände daher schlecht kompensieren.
Was also tun, um den
Ausverkauf der Reptilien zu verhindern? Mark Auliya plädiert zum einen für
striktere Auflagen, die alle CITES-Mitgliedsstaaten zu einem besseren Schutz
ihrer eigenen Vorkommen verpflichten. "Zum anderen müssen aber auch
wichtige Importeure wie die EU Verantwortung übernehmen", betont der
Experte. Handlungsbedarf sieht er zum Beispiel bei Arten wie dem sehr begehrten
Borneo-Taubwaran Lanthanotus borneensis, für den europäische Reptilienfans derzeit
rund 3000 Euro pro Paar auf den Tisch legen. In ihrer Heimat ist die Art zwar
geschützt, sie steht bisher aber nicht auf den CITES-Anhängen. Das bedeutet,
dass Schmuggler solche Tiere nur einmal aus Borneo herausschaffen müssen. Dann
können sie diese ganz offen auf dem europäischen Markt anbieten. In den USA
dagegen ist der Handel auch mit Arten verboten, die nicht in den Anhängen von
CITES stehen, aber in ihrem Heimatland geschützt sind. "Die EU diskutiert
derzeit über die Einführung einer ähnlichen Regelung", sagt Mark Auliya.
"Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung".
Publikation:
Mark Auliya et al. (2016):
Trade in live reptiles, its impact on wild populations, and the role of the
European market.
Biological Conservation, Online-Ausgabe
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320716301987
Weiterführende Links:
UFZ-Newsletter März
2016 / Seite 6-8: http://www.ufz.de/newsletter/ufz/Maerz2016/index.html#/6
https://www.cites.org/
http://www.iucnredlist.org/
Im Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die
Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen
sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels
und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem
Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit,
Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv:
Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und
hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels
langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle
und Magdeburg mehr als 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es wird vom Bund
sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.de
Die
Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen
von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche
Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt,
Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie sowie Luftfahrt,
Raumfahrt und Verkehr. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 37.000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem
Jahresbudget von rund 4 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation
Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers
Hermann von Helmholtz (1821-1894).
www.helmholtz.de
Ansprechpartner
Dr. Mark Auliya
Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung (UFZ)
mark.auliya@ufz.de
http://www.ufz.de/index.php?de=38972
Kontakt Medien
Susanne Hufe
UFZ Pressestelle
Tel. +49 341 -
235-1630
www.ufz.de/index.php?de=640
Anschrift
Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung GmbH - UFZ
Permoserstraße 15
04318 Leipzig
www.ufz.de