Tübinger
Forscher untersuchen den komplizierten Zusammenbau dieser lebenswichtigen
Zellorganellen
Häufig
vereinfacht als Kraftwerke in den Zellen von Mensch, Tier und Pflanze
bezeichnet, werden Mitochondrien längst viele weitere lebenswichtige Funktionen
in der Zelle zugeschrieben. Die Zellorgane haben eine bewegte Vergangenheit:
Sie entstanden vor mehr als einer Milliarde Jahren aus einem primitiven
Bakterium, das in eine Urzelle aufgenommen wurde. Während des
Evolutionsprozesses gelangten fast alle Gene des ursprünglichen Bakteriums in
den Zellkern. Daher werden die meisten Proteinbausteine der Mitochondrien im
Zellplasma produziert und über aufwendige Importprozesse in die richtige
Position gebracht. In die vielen Fragen rund um den Zusammenbau dieser
Organellen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Interfakultären
Institut für Biochemie (IFIB) der Universität Tübingen unter der Leitung von
Professor Doron Rapaport mit zwei neuen Studien mehr Licht gebracht. Kürzlich
entdeckten Monika Sinzel und Dr. Kai Stefan Dimmer erstmals ein Protein, das in
die äußere Hüllmembran der Mitochondrien eingebaut wird, bei dessen korrekter
Positionierung jedoch Enzyme der inneren Hüllmembran die entscheidende Rolle
spielen. Rapaport und ein weiteres Mitglied seiner Arbeitsgruppe, Tobias Jores,
fanden nun gemeinsam mit Kollegen aus Frankfurt und Kyoto in einer zweiten
Studie heraus, wie das lang gesuchte Signal aussieht, das bestimmte fassförmige
Proteine, die Beta-Barrel-Proteine, nach der Herstellung im Zellplasma zu den
Mitochondrien dirigiert.
Je
nach Typ enthält eine Zelle zwischen einer Handvoll und Hunderten von
Mitochondrien. Außer an der Energieerzeugung sind Mitochondrien auch in die
Herstellung von zellulären Bausteinen wie Aminosäuren, Nukleotiden und
Eisen-Schwefel-Clustern eingebunden. „Heute weiß man, dass sie zudem als
zentrale Akteure in der zellulären Signalübermittlung fungieren. In dieser
Rolle kommt den Mitochondrien besondere Bedeutung bei Prozessen wie der
Alterung und dem programmierten Zelltod zu“, erklärt Doron Rapaport. Defekte an
den Mitochondrien können zu einer großen Vielfalt an muskulären, metabolischen
oder neurodegenerativen Krankheiten führen. Außerdem spielen die Organellen
auch bei Erkrankungen wie Diabetes, Taubheit, Blindheit, Krebs, vorzeitigem
Altern, Demenz und bakteriellen Infektionen eine Rolle.
„Für
die Lebensfähigkeit der Zellen ist der Import der Proteinbausteine aus dem
Zellplasma in das entsprechende Unterabteil der Mitochondrien ein essenzieller
Prozess“, sagt Rapaport. Für die Mehrheit der mitochondrialen Proteine sei das
Signal, das sie zu der Zellorganelle dirigiert, schon länger bekannt gewesen.
„Das galt jedoch nicht für die wichtige Gruppe der Beta-Barrel-Proteine, die in
die Außenmembran der Mitochondrien eingebaut werden“, erklärt der
Wissenschaftler. Rapaport und Jores enttarnten das Signal mithilfe
biochemischer Versuche, Strukturanalysen und Genmanipulationen an Hefezellen:
Es ist ein spezielles Proteinelement, ein Beta-Hairpin – eine
Beta-Haarnadelschlaufe –, das die Beta-Barrel-Proteine zuverlässig zu den
Mitochondrien führt. Die Tübinger Wissenschaftler identifizierten auch einen
Rezeptor auf der Oberfläche der Mitochondrien, der das Beta-Hairpin-Signal
erkennt. Die Kooperationspartner aus Kyoto ermittelten die strukturellen
Aspekte dieser molekularen Interaktion. „Unsere Frankfurter Kooperationspartner
konnten belegen, dass das Beta-Hairpin-Signal allein den Weg der
Beta-Barrel-Proteine festlegt. Sie hängten es vor Proteine, die eigentlich für
die Chloroplasten, die Fotosyntheseorgane der Pflanzenzelle, gedacht waren, sie
wurden jedoch bei den Mitochondrien abgeliefert“, sagt Rapaport.
Publikationen:
Monika Sinzel, Tao Tan, Philipp
Wendling, Hubert Kalbacher, Cagakan Özbalci, Xenia Chelius, Benedikt
Westermann, Britta Brügger, Doron Rapaport & Kai Stefan Dimmer: Mcp3 is a
novel mitochondrial outer membrane protein that follows a unique IMP-dependent
biogenesis pathway. EMBO Reports, DOI 10.15252/embr.201541273.
Jores, T., A. Klinger, L. Groß, S.
Kawano, N. Flinner, E. Duchardt-Ferner, J. Wöhnert, H. Kalbacher, T. Endo, E.
Schleiff, and D. Rapaport (2016): Characterization of the targeting signal in
mitochondrial β-barrel
proteins. Nature Communications, in press.