Der Nachbau des ersten Serienflugzeuges der Welt von Otto
Lilienthal hat seinen Test im Windkanal bestanden. Wissenschaftler des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wiesen die aerodynamische
Qualität der Konstruktion des Flugpioniers nach. In weiteren Untersuchungen in
Göttingen soll geklärt werden, welche Rolle die Manövrierfähigkeit des Gleiters
beim tödlichen Absturz Lilienthals gespielt haben könnte.
Die Göttinger DLR-Forscher bestätigten mit ihren
Untersuchungen die Ansicht, dass Lilienthal als "erster Flieger der
Menschheit" gilt. Der nach Lilienthals Original-Plänen vom
Otto-Lilienthal-Museum Anklam gefertigte sogenannte Normalsegelapparat erwies
sich im Windkanal als erstaunlich stabile und flugfähige Konstruktion.
"Der Gleiter hat Windgeschwindigkeiten bis 36 Kilometern pro Stunde
standgehalten und Datensätze geliefert, die Lehrbuchcharakter haben", sagte
Prof. Andreas Dillmann, Leiter des DLR-Instituts für Aerodynamik und
Strömungstechnik. Die ermittelte Gleitzahl beträgt knapp 4, was einem üblichen
Gleitschirm entspricht. "Die Flugeigenschaften gleichen denen eines
typischen Schul-Segelflugzeuges der 20er und 30er Jahre - Konstruktionen, die
Jahrzehnte nach Lilienthal flogen", so Dillmann. Die Windkanaltests wurden
in einem der größten und modernsten Windkanäle der Welt, dem
Deutsch-Niederländischen-Windkanal DNW-LLF, im holländischen Emmeloord durchgeführt.
1896 verunglückte Lilienthal tödlich bei einem Flug mit
dem "Normalsegelapparat". Über die genauen Ursachen herrschte in der
Forschung bislang Unklarheit. Bereits nach den ersten Untersuchungsergebnissen
des Windkanal-Tests scheidet für die DLR-Forscher ein Konstruktionsfehler aus.
"Es handelt sich um eine aerodynamisch absolut saubere Konstruktion, die
in allen Flugbereichen eigenstabil war", so Dillmann. Eigenstabil nennen
Luftfahrtingenieure das Verhalten von Flugzeugen, wenn sie sich von selbst bei
einer Kursabweichung durch Wind oder Steuerfehler wieder ins aerodynamische
Gleichgewicht bringen. Dies ist Voraussetzung für sicheres Fliegen.
Während im Windkanalversuch die aerodynamischen
Eigenschaften des Lilienthal-Gleiters untersucht wurden, geht es bei den
aktuellen Tests in Göttingen um die Manövrierfähigkeit. Dazu muss sich ein
Mensch wie Lilienthal selbst in den Gleiter hängen und dessen Bewegungen
nachahmen. Lilienthal steuerte seinen Flieger durch Vor- und Zurückwerfen der
Beine. Eine Bewegung, die ähnlich wie Barrenturnen aussieht - und auch ähnlich
anstrengend ist. In Göttingen stieg DLR-Mitarbeiter Christian Schnepf, der mit
1,83 Meter Größe und 89 Kilogramm Gewicht eine ähnliche Konstitution wie
Lilienthal hat, in die Konstruktion. Nach jeder Sequenz von Bewegungen ist ihm
die Anstrengung deutlich anzusehen. "Ich habe jetzt vor Lilienthal nicht
mehr nur Respekt als Wissenschaftler und Konstrukteur, sondern auch als
Sportler", sagte Schnepf.
Durch die Bewegung verschiebt sich der Schwerpunkt des
Gleiters - und damit seine Lage. Senkt sich die Nase, wird er schneller, hebt
sie sich, wird er langsamer. Von Lilienthals Absturz wird berichtet, dass sich
sein Gleiter bei einer Sonnenbö genanntem Aufwind aufrichtete, in der Luft kurz
stehenblieb und dann seitlich abstürzte. Nach den ersten Untersuchungen deutet
für Dillmann alles darauf hin, dass Lilienthal nicht stark genug gegensteuern
konnte: "Lilienthals Gleiter konnte gut und sicher bei Windstille oder
Gegenwind fliegen. Für andere Windverhältnisse wie die Thermik an seinem
Absturztag reichte die Manövrierfähigkeit einfach nicht aus."
Der Nachbau des Lilienthal-Gleiters ist auf der ILA
Berlin Air Show vom 1. bis 4. Juni 2016 zu sehen. Dort werden auch die
wissenschaftlichen Ergebnisse der Untersuchungen präsentiert.
Hinweis an die Redaktionen:
Sendetaugliches TV-Footage kann beim DLR-Filmarchiv
heruntergeladen werden. O-Töne aus dem Windkanal gibt es hier.
Kontakt:
Jens Wucherpfennig
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation, Göttingen
Tel.: +49 551 709-2108
Fax: +49 551 709-12108
Prof. Dr. rer. nat. Dr.-Ing. habil Andreas Dillmann
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Tel.: +49 551 709-2177
Fax: +49 551 709-2889