Digitaler Hirnatlas JuBrain macht Unterschiede sichtbar
Jülich, 17. Dezember 2015 – Depression ist eine der
häufigsten psychischen Erkrankungen. Sie stellt nicht nur eine große
Herausforderung für Patienten und Angehörige dar, sondern auch für die
Sozialsysteme. Die Ursachen der Erkrankung können vielfältig sein: Häufig
kommen mehrere Faktoren wie genetische Anlage, Hormonstörungen und belastende
Lebenserfahrungen zusammen. Eine aktuelle Studie von Jülicher
Neurowissenschaftlern zeigt nun, dass sich die Erkrankung auch organisch durch
Veränderungen im Gehirn belegen lässt: Dr. Sebastian Bludau und Prof. Simon
Eickhoff wiesen erstmals nach, dass bei depressiv erkrankten Patientinnen
und Patienten die graue Substanz im medialen Frontalpol reduziert ist. Die
Ergebnisse haben sie in der Zeitschrift „American Journal of Psychiatry“
veröffentlicht.
Die Wissenschaftler des Instituts für Neurowissenschaften
und Medizin (INM-1) nutzten für ihre Forschungsarbeit den drei-dimensionalen
Hirnatlas JuBrain, der ebenfalls am Forschungszentrum Jülich entwickelt wird.
Dieser basiert auf Auswertungen von hauchdünnen Gehirnschnitten mit moderner
Bildanalyse. Er zeigt unter anderem, dass das untersuchte Gehirnareal des
Frontalpols („Brodmann’s Areal 10“) nicht homogen aufgebaut ist – wie in der
klassischen Literatur angenommen – sondern strukturell und funktionell in
ein medial und ein lateral gelegenes Areal unterteilt ist. Die Forscher
verglichen bei Gesunden und Depressiven das Volumen der grauen Hirnsubstanz in
diesen Arealen. Dabei zeigte sich, dass bei Depressiven das Volumen des
medialen Areals verringert ist. Im lateralen Areal war kein Volumenunterschied
zu der gesunden Kontrollgruppe messbar. „Der mediale Frontalpol ist in
sozial-affektive Prozesse wie Grübeln oder Selbstreflexionen involviert, die
bei Depressionen eine Rolle spielen“, erläutert Sebastian Bludau. Darüber
hinaus konnten die Neurowissenschaftler einen Zusammenhang zwischen
Erkrankungsdauer bzw. -schwere und dem Hirnvolumen nachweisen: „Die graue
Substanz im medialen Frontalpol war desto geringer, je schwerer die Erkrankung
diagnostiziert war und je länger sie andauerte“, berichtet der
Neurowissenschaftler.
Die Forschungsarbeit von Bludau und Eickhoff kann
perspektivisch dazu beitragen, die Diagnose von Depressionen zu sichern. Mit
Hilfe moderner Bildgebung wie der Magnetresonanztomographie kann in Kombination
mit JuBrain ein Volumenverlust festgestellt und als struktureller Hinweis auf
die Erkrankung gewertet werden.
JuBrain-Atlas ist Ausgangspunkt für Hirnmodell, das im
Rahmen des HBP entwickelt wird
„Neben dieser klinischen Bedeutung zeigt die Arbeit auch die
Relevanz der Jülicher Hirnkartierung, die weltweit einmalig ist“ freut sich
Prof. Katrin Amunts. So umfasst der JuBrain-Atlas Karten von etwa 200
Hirnarealen, die Unterschiede in der zellulären Architektur widerspiegeln. Die
Neurowissenschaftlerin arbeitet seit etwa zwanzig Jahren gemeinsam mit Prof.
Karl Zilles an dem gigantischen Kartierungsprojekt. Die beiden
Neurowissenschaftler haben unlängst im renommierten Fachmagazin „Neuron“ ihr
neues Konzept der Hirnrinde vorgestellt, das über eine einfache Gliederung des
Gehirns in Areale hinausgeht. In dem Fachartikel „Architectonic mapping of the
Human Brain beyond Brodmann“, betonen die Wissenschaftler, dass die Hirnrinde
mindestens drei Gliederungsstufen umfasst – von den Zellsäulen bis hin zu
Hirnarealen. Erst das Zusammenspiel aller Stufen lässt komplexe Hirnleistungen
und Verhaltensweisen entstehen.
Die Karten von Hirnarealen sind Grundlage für ein
multimodales Hirnmodell, in das auch Erkenntnisse über die genetischen Merkmale
der Regionen und Zellen, die Signalmoleküle des Gehirns (sog.
Transmitterrezeptoren) und seine Verbindungen einfließen. Einen Hirn-Atlas zu
entwickeln, der all diese Aspekte integrieren wird, ist ein Ziel des
europäischen „Human Brain Projects“ (HBP), an dem Jülicher Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler mitwirken. Das HBP ist eines von zwei durch die EU
geförderten Flagship-Projekten. Es hat zur Aufgabe, eine
Forschungsinfrastruktur in Europa zu schaffen, die dazu beiträgt, das
menschliche Gehirn und seine Erkrankungen besser zu analysieren und zu
verstehen. Moderne Informationstechnologien, Simulation und Modellbildung
spielen dabei eine wichtige Rolle. Der zukünftige HBP-Atlas wird
Forschern in- und außerhalb des HBP Zugriff auf die verschiedensten Daten und
Erkenntnisse über das Gehirn ermöglichen.
Originalveröffentlichungen:
Medial
prefrontal aberrations in major depressive disorder revealed by
cytoarchitectonically informed Voxel-Based Morphometry. Bludau, S., Bzdok, D.,
Gruber, O., Kohn, N., Riedl, V., Sorg, C., Palomero-Gallagher, N., Muller,
V.I., Hoffstaedter, F., Amunts, K., Eickhoff, S.B.
Am J
Psychiatry 2015, appi ajp 201515030349
Architectonic
mapping of the Human Brain beyond Brodmann. Amunts, K., Zilles K.
Neuron 2015,
Cytoarchitecture,
probability maps and functions of the human frontal pole. Bludau, S.,
Eickhoff, S.B., Mohlberg, H., Caspers, S., Laird, A.R., Fox, P.T., Schleicher,
A., Zilles, K., Amunts, K. Neuroimage 2014, 93: 260-275.
Weitere Informationen:
Human Brain Project:
JuBrain:
Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1):
Strukturelle und funktionelle Organisation des Gehirns:
Ansprechpartner:
Dr. Sebastian Bludau,
Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1),
Tel.: 0 2461 61-1966, E-Mail: s.bludau@fz-juelich.de
Prof. Katrin Amunts,
Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1),
Tel.: 02461 61-4300, E-Mail: k.amunts@fz-juelich.de
Pressekontakt:
Annette Stettien, Unternehmenskommunikation
Tel. 02461 61-2388, E-Mail: a.stettien@fz-juelich.de
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Forschungszentrum Juelich GmbH
52425 Juelich
Sitz der Gesellschaft: Juelich
Eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Dueren Nr. HR B 3498
Vorsitzender des Aufsichtsrats: MinDir Dr. Karl Eugen Huthmacher
Geschaeftsfuehrung: Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt (Vorsitzender),
Karsten Beneke (stellv. Vorsitzender), Prof. Dr.-Ing. Harald Bolt,
Prof. Dr. Sebastian M. Schmidt
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