Neue Einblicke in die molekularen Grundlagen des
Gedächtnisses Laborstudie unterstützt die These, dass Erinnerungen mit der
Hilfe chemischer Markierungen auf der DNA codiert werden
Göttingen, 17. Dezember 2015. Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankung (DZNE)
aus Göttingen und München haben neue Erkenntnisse über die molekularen
Grundlagen des Gedächtnisses gewonnen. Ihre Studie bestätigt, dass die
Entstehung von Erinnerungen mit einer veränderten Aktivität spezieller Gene
einhergeht. Darüber hinaus fanden sie in bisher nicht erreichtem Umfang Belege
dafür, dass chemische Markierungen am Rückgrat der DNA (sogenannte
DNA-Methylierung) möglicherweise die molekulare Grundlage des
Langzeitgedächtnisses bilden. Das Forscherteam berichtet darüber im Fachjournal "Nature Neuroscience".
Das Gehirn birgt noch viele Unbekannte. Grundsätzlich
geht man davon aus, dass es Erlebnisse abspeichert, indem Verbindungen zwischen
Hirnzellen verändert werden. Auf dieser Wandlungsfähigkeit - auch
"Plastizität" genannt - beruhen demnach das Gedächtnis und die Gabe zum
Lernen, also die Gabe aus Erinnerungen, Schlüsse zu ziehen. Auf molekularer
Skala werden diese Veränderungen durch Anpassungen in der Expression spezieller
Gene vermittelt, die je nach Bedarf die Kopplung zwischen den Hirnzellen
verstärken oder abschwächen.
Für die aktuelle Studie untersuchte ein Forscherteam um
Dr. Stefan Bonn und Prof. André Fischer aus Göttingen, gemeinsam mit Kollegen
des DZNE-Standorts München, wie die Aktivität solcher Gene reguliert wird. Die
Wissenschaftler stimulierten das Langzeitgedächtnis von Mäusen, indem sie die
Tiere darauf trainierten, eine bestimmte Versuchsumgebung wiederzuerkennen.
Anhand von Gewebeproben konnten die Forscher nachvollziehen, wie sich durch
diese Lernaufgabe die Aktivität der Gene in den Hirnzellen der Mäuse
veränderte. Der Fokus richtete sich dabei auf sogenannte epigenetische
Modifikationen. Diese betreffen die DNA und spezielle Proteine, die in
Verbindung mit der DNA vorliegen.
Epigenetische Veränderungen
"Die Zelle nutzt verschiedene Mechanismen, um Gene
an- oder auszuschalten, ohne dass sich die DNA-Sequenz dabei verändert. Das
nennt am ,Epigenetik'", erläutert Dr. Magali Hennion, wissenschaftliche
Mitarbeiterin im Team von Stefan Bonn.
Prinzipiell kann die Genregulation über eine sogenannte
Methylierung geschehen, wodurch das Rückgrat der DNA an spezifischen Stellen
chemisch markiert wird. Ebenfalls möglich sind Veränderungen an den
"Histonen": Hierbei handelt sich um Proteine, die die DNA verpacken.
Hennion: "In Hinblick auf das Gedächtnis steht die
Erforschung epigenetischer Veränderungen erst am Anfang. Wir schauen uns solche
Merkmale an, nicht nur um das Gedächtnis besser zu verstehen. Wir suchen auch
nach möglichen Ansatzpunkten für Medikamente, die einem Gedächtnisverfall
entgegenwirken könnten. Letztlich geht es also um Therapien gegen Alzheimer und
ähnliche Hirnerkrankungen."
Ein Code für Gedächtnisinhalte?
Im Rahmen der aktuellen Studie konnten die Forscher
sowohl Modifikationen an den Histonen als auch an der Methylierung der DNA
feststellen. Veränderungen der Histone hatten jedoch nur geringe Auswirkung auf
die Aktivität für die Neuroplastizität wichtiger Gene. Des Weiteren entdeckten
Bonn und seine Kollegen epigenetische Modifikationen nicht nur an Nervenzellen,
sondern auch in nicht-neuronalen Zellen des Gehirns.
"Welche Bedeutung nicht-neuronale Zellen für das
Gedächtnis haben, ist eine spannende Frage, die wir weiter verfolgen
werden", sagt André Fischer, Standortsprecher des DZNE in Göttingen und
Professor an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). "Des Weiteren deuten
unsere Beobachtungen darauf hin, dass die Neuroplastizität maßgeblich von der
Methylierung der DNA gesteuert wird. Das ist zwar keine neue These, doch unsere
Studie hat in bislang unerreichtem Umfang dafür Belege gefunden. Demnach ist
die Methylierung möglicherweise ein wichtiger molekularer Baustein des
Langzeitgedächtnisses. Sie wäre dann eine Art Code für Gedächtnisinhalte und
könnte somit neue Ansatzpunkte für Therapieverfahren gegen Alzheimerdemenz
liefern. Diesen Aspekt wollen wir in weiteren Studien gezielt
untersuchen."
Originalveröffentlichung
"DNA methylation changes in plasticity genes
accompany the formation and maintenance of memory", Rashi Halder, Magali
Hennion, Ramon O. Vidal, Orr Shomroni, Raza-Ur Rahman, Ashish Rajput, Tonatiuh
Pena Centeno, Frauke van Bebber, Vincenzo Capece, Julio C. Garcia Vizcaino,
Anna-Lena Schuetz, Susanne Burkhardt, Eva Benito, Magdalena Navarro Sala, Sanaz
Bahari Javan, Christian Haass, Bettina Schmid, Andre Fischer, Stefan Bonn,
Nature Neuroscience, DOI: 10.1038/nn.4194
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und
entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege. Es ist eine
Einrichtung in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren mit
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Rostock/Greifswald, Tübingen und Witten. Das DZNE kooperiert eng mit
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