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Sportler im Windkanal
Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
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Als das Skispringen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts
als neue Sportart etablierte, war sie von Versuch und Irrtum geprägt. Erst die
Versuche eines Schweizer Flugzeugingenieurs in einem Windkanal des Vorläufers
des heutigen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen lieferten
wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse über die optimale Körperhaltung.
Erstmals eingesetzt wurde sie bei der ersten Vierschanzentournee 1953.
Der Schweizer Flugzeugingenieur Reinhard Straumann
erkannte als erster bereits 1924 den entscheidenden Einfluss der Luft als
tragenden Faktor beim Skispringen. Ab 1926 beschäftigte er sich
wissenschaftlich mit dem Wintersport und untersuchte die Beziehung von
Geschwindigkeit, Technik, Körperhaltung und Schanzenprofilen. Er führte hierzu
Messungen bei Sprungveranstaltungen durch und experimentierte mit
Springerpuppen im Göttinger Windkanal der Aerodynamischen Versuchsanstalt
Göttingen, dem Vorläufer des DLR.
"Straumanns Windkanaluntersuchungen waren eine
zukunftsweisende Entwicklung weg vom Bauchgefühl-Springen hin zu einer
wissenschaftlich fundierten Technik", sagt der Ski-Historiker und Direktor
des Deutschen Skimuseums Dr. Gerd Falkner.
Dass Straumann sich an die norddeutsche
Forschungseinrichtung wandte, war kein Zufall. Göttingen gilt als die Wiege der
modernen Aerodynamik. Hier wurde 1907 die weltweit erste staatliche
Luftfahrtforschungseinrichtung gegründet. In Göttingen wurden wichtige
Grundlagen der modernen Luftfahrt erforscht. Hier entwickelte Ludwig Prandtl
die Grenzschichttheorie, testete Hans Joachim Pabst von Ohain den Vorläufer des
ersten Strahltriebwerks und erfanden Forscher den Pfeilflügel als Voraussetzung
für den schnellen Reiseflug.
Heute arbeiten im DLR Göttingen über 480 Fachleute an den
Flugzeugen, Raumschiffen und Hochgeschwindigkeitszügen der Zukunft. Für
experimentelle Untersuchungen stehen mehr als 20 Windkanäle und
Großforschungsanlagen zur Verfügung.
Puppe kopfüber aufgehängt
Für die Untersuchung der optimalen Haltung von
Skispringern wurde eigens eine etwa 50 Zentimeter große Puppe hergestellt und
kopfüber in einen Windkanal gehängt. Straumann veröffentlichte 1926/27 seine
Theorie über die aerodynamisch günstigste Körperhaltung. Er kam zu der
Erkenntnis, dass der Springer die besten Weiten erzielen kann, wenn er eine
Flughaltung annimmt, die dem aerodynamischen Prinzip von Flugzeugtragflächen
nachempfunden ist. Dabei segeln die Springer in weiter Körpervorlage parallel
zu ihren 2,60 Meter langen und bis zu sechs Kilogramm schweren Sprung-Ski mit
angelegten Armen. Nur die Hände sollen wie Fischflossen im Wasser die Richtung
korrigieren: daher die Bezeichnung Fisch-Stil.
"Vorher haben die Springer permanent mit den Armen
gerudert. Straumanns Technik hatte den großen Vorteil, dass er Ruhe in das
System brachte und damit weniger abbremste", erklärt Falkner.
Straumanns Theorie wurde jedoch erst zwanzig Jahre nach
den Windkanalversuchen praktisch umgesetzt. Ab 1953 etablierte sich dieser Stil
bei der ersten Vierschanzentournee. "Das hatte hauptsächlich
sportpolitische Aspekte", so Falkner. "Man war nicht daran
interessiert, immer weiter zu springen." Einmal eingeführt, dominierte bis
in die Achtzigerjahre hinein, mit leichten Variationen, die nach vorne
gestreckte Flughaltung mit paralleler Skiführung. Im Zusammenhang mit dem Ende
der Achtzigerjahre etablierten V-Stil wird der Fisch-Stil heute meistens wegen
der parallelen Skihaltung als Parallel-Stil bezeichnet. Einer der
erfolgreichsten deutschen Skispringer, Jens Weißflog, erzielte seine Siege mit
diesem Stil.
Die Forschungsberichte über die Versuche zum Skispringen
befinden sich heute im Zentralen Archiv des DLR in Göttingen. In den 30er
Jahren kam es im Auftrag des Skivereins Norwegen zu weiteren Windkanalversuchen
in Göttingen. Ziel: "den Luftwiderstand beim Skisprung endgültig festzustellen".
Auch in den Jahrzehnten danach kam es immer wieder zu
Untersuchungen an Wintersportlern. So feilten in den 70er Jahren Olympioniken
wie Christa Kinshofer an ihrer Körperhaltung, und 2010 halfen DLR-Forscher der deutschen
Paralympics-Nationalmannschaft im Ski Alpin, die windschnittigste Haltung zu
finden.
Kontakte:
Jens Wucherpfennig
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation, Göttingen
Tel.: +49 551 709-2108
Fax: +49 551 709-12108
Dr. Jessika Wichner
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Tel.: +49 551 709-2153
Fax: +49 551 709-2948