| © Chris Lukhaup, DKFZ |
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Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum in
Heidelberg haben eine neue Tierart entdeckt: Der Marmorkrebs, Procambarus
virginalis, ist vermutlich vor 30 Jahren in einem einzigen Schritt aus dem
Everglades-Sumpfkrebs hervorgegangen und hat sich seither weltweit verbreitet.
Alle bisher untersuchten Tiere sind weiblich, pflanzen sich ohne männliche
Hilfe durch Jungfernzeugung fort und weisen exakt das gleiche Erbgut auf. Daher
müssen durchaus vorhandene Unterschiede einzelner Exemplare in Aussehen oder
Verhalten auf epigenetische Vorgänge zurückzuführen sein. Weil auch die
Krankheit Krebs häufig epigenetische Ursachen hat, ist der Marmorkrebs ein
höchst interessantes Modell für die Krebsforschung.
Frank Lyko, Wissenschaftler im Deutschen
Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, interessiert sich für Epigenetik.
Anders als in der Genetik geht es hier nicht um Fehler im Erbgut, die dazu
führen, dass ein Gen ein falsches Produkt liefert, komplett fehlt oder mehrfach
vorhanden ist. Vielmehr beschäftigt sich die Epigenetik mit kleinsten
Veränderungen am Erbgut, die zur Folge haben, dass ein Gen stärker oder weniger
stark aktiv ist. Das spielt eine Rolle beim Anpassen des Organismus an verschiedene
Umweltbedingungen, etwa die Ernährung, die Populationsdichte oder die
Temperatur.
"Epigenetische Faktoren können aber auch das
Krebsrisiko beziehungsweise den Verlauf einer Krebserkrankung
beeinflussen", sagt Frank Lyko. So konnten Kollegen aus dem Deutschen
Krebsforschungszentrum erst kürzlich zeigen, dass beim Medulloblastom, einem
aggressiven Hirntumor bei Kindern, epigenetische Faktoren die Hauptrolle
spielen (siehe DKFZ PM Nr. 30/2014). "Um die Grundlagen der Epigenetik zu
verstehen, benötigen wir Modelle, und da sind die typischen „Haustiere“ der
Krebsforscher wie Maus oder Ratte weniger gut geeignet", erklärt Lyko. Und
deshalb wurde der Krebsforscher nun zum "Krebs-Krebsforscher".
Der Marmorkrebs ist ein Süßwasserkrebs, der weltweit
verbreitet ist: Auf Madagaskar vermehrt er sich derzeit so schnell, dass er
nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Bedrohung darstellt,
weil die Tiere die Reisfelder abfressen. Sie kommen in süddeutschen Badeseen
vor, in Schweden, Japan, und in jedem Aquarienhandel. Günter Vogt, ein Zoologe
von der Universität Heidelberg, hatte den Wissenschaftlern vom DKFZ den Tipp
gegeben, sich mit dem Marmorkrebs zu beschäftigen. "Ich hatte vermutet,
dass sich dieser Krebs durch Klonen fortpflanzt, weil es von ihm ausschließlich
Weibchen gibt", erzählt Vogt. "Die Tiere müssten daher alle das
gleiche Erbgut besitzen und ihre große Vielfalt in Aussehen oder Verhalten
könnte nur auf epigenetische Ursachen zurück zu führen sein."
Lyko zeigte sich interessiert, holte die Tiere ins Labor
und bestätigte die Vermutung des Zoologen: "Wir haben bei vier Tieren aus
verschiedenen Quellen das Erbgut entschlüsselt. Alle Tiere waren identisch, wir
haben keinen einzigen genetischen Unterschied gefunden. Es handelt sich beim
Marmorkrebs also tatsächlich um einen Klon, bei dem Millionen von Tieren aus
einem einzigen Ursprungskrebs hervorgegangen sind."
Der Marmorkrebs hat sich aus dem Everglades-Sumpfkrebs
entwickelt. Den züchten Aquarianer seit vielen Jahren. Vermutlich hat ein
Kälteschock bei einem Weibchen verhindert, dass die Eizellen eine Reifeteilung
durchlaufen, bei der der Chromosomensatz halbiert wird. Die Krebse legen dann
diploide Eier mit doppeltem Chromosomensatz. Werden diese befruchtet, entstehen
triploide Krebse - mit dreifachem Chromosomensatz. Die sind zwar größer als
ihre Eltern, aber normalerweise steril und können keine Nachkommen mehr
bekommen. "Im Fall vom Marmorkrebs hat sich aber etwas im Erbgut ereignet,
wodurch die Tiere die Fähigkeit erlangt haben, sich durch Jungfernzeugung
fortzupflanzen", erklärt Lyko. Die Tiere legen triploide Eier, die sich
alleine und ohne Befruchtung zu vollständigen Krebsen entwickeln.
Die Wissenschaftler vermuteten, dass dieses
"Ereignis im Erbgut" dazu geführt hat, dass sich der Marmorkrebs als
eine eigene Art etabliert hat, was Biologen als freiwillige fruchtbare
Fortpflanzungsgemeinschaft bezeichnen. Um das zu überprüfen, setzten sie
Marmorkrebsweibchen mit Everglades-Sumpfkrebsmännchen zusammen. "Die Tiere
haben auch sofort miteinander kopuliert, aber als Nachkommen haben wir
ausschließlich reine Marmorkrebse erhalten. Das genetische Material der
Floridasumpfkrebse fand sich nirgends", erklärt der Biologe. "Ob das
daran lag, dass keine Befruchtung stattfindet oder dass das Spermienerbgut nach
der Befruchtung nicht mehr verwendet wird, wissen wir noch nicht. Aber auf
jeden Fall handelt es sich beim Marmorkrebs um eine eigene Art." Lyko und
seine Kollegen durften daher als Entdecker der Art dem Marmorkrebs einen
lateinischen Namen geben. Sie entschieden sich für "Procambarus
virginalis", was soviel wie "jungfräulicher Krebs" bedeutet.
Die Wissenschaftler stellten bei ihren Untersuchungen
auch fest, dass der Marmorkrebs im Vergleich mit dem Floridasumpfkrebs nur etwa
die 1,4-fache Menge an Erbmaterial besitzt. Erwartet hatten sie bei triploidem
Chromosomensatz die 1,5-fache Menge. Es scheint bei der Artbildung also etwas
verloren gegangen zu sein. "Jetzt untersuchen wir, welche Teile des
Erbguts aus dem Floridasumpfkrebs beim Marmorkrebs fehlen, vielleicht liegt
hier der Schlüssel zur Jungfernzeugung", blickt Lyko in die Zukunft.
Bevor Frank Lyko den Marmorkrebs ins Labor holte, hatte
seine Gruppe schon einige Tiermodelle getestet, bei denen die Epigenetik eine
große Rolle spielt: Etwa Bienen, bei denen die mit Gelee Royal gefütterten
Larven zur Bienenkönigin heranwachsen, mit Nektar allein aber nur eine kleine
Arbeiterin werden. Oder Heuschrecken, die allein im Käfig dezent grün, in
Schwarmhaltung jedoch auffällig braun-gelb getönt sind. Doch beide Tiere
erwiesen sich nicht als geeignetes Modell für die Krebsforschung, erzählt Frank
Lyko: "Bienen lassen sich nicht im Labor züchten, vor den Heuschrecken ekeln
sich alle." Mit dem Marmorkrebs hat Lyko nun hoffentlich das ideale Modell
für die epigenetische Krebs-Forschung gefunden.
The marbled crayfish as a paradigm for saltational
speciation by autopolyploidy and parthenogenesis in animals; Günter Vogt,
Cassandra Falckenhayn, Anne Schrimpf, Katharina Schmid, Katharina Hanna, Jörn
Panteleit, Mark Helm, Ralf Schulz, Frank Lyko: Biology Open, 2015, DOI:
10.1242/bio.014241
Ein Bild zur Pressemitteilung finden Sie hier:
Bildunterschrift: Der Marmorkrebs ist ein anspruchsloser
Laborgenosse: Kaum 10 cm groß, lebt er bescheiden in mittelgroßen Wasserbecken.
Fischfutter, etwas Kies und eine Blumentopfscherbe zum Verstecken genügen ihm
zum Leben. Quelle: Chris Lukhaup, DKFZ.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung,
unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären
Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der
hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um
die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land
Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft
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