Hochbegabungspresse
Die häufigsten Hirntumoren bei Kindern haben eine
gemeinsame Ursache - einen überaktiven zellulären Signalweg. Dies entdeckte ein
Verbund von Wissenschaftlern unter der Federführung des Deutschen
Krebsforschungszentrums. Die Forscher fanden in allen 96 untersuchten Fällen
Defekte in Genen, die an diesem Signalweg beteiligt sind. Betroffenen Kindern
kann daher gezielt mit Medikamenten geholfen werden, die Komponenten der
Signalkaskade blockieren. Das Projekt wird von der Deutschen Krebshilfe und vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Ergebnisse sind in
der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature Genetics veröffentlicht.
Hirntumoren sind Hauptursache der Krebssterblichkeit im
Kindesalter. Selbst wenn eine Heilung erreicht wird, leiden die Kinder unter
der belastenden Behandlung, die das heranwachsende Gehirn beeinträchtigen kann.
Um neue Zielstrukturen für schonendere Behandlungen zu entdecken, setzen
Krebsforscher auf die systematische Analyse aller Erbgutveränderungen der
Tumoren. Mit diesem Ziel trat 2010 der Forschungsverbund PedBrain-Tumor an.
Unter der Federführung von Prof. Stefan Pfister aus dem Deutschen
Krebsforschungszentrum veröffentlichten die PedBrain-Forscher nun die
Auswertung der ersten 96 Erbgut-Analysen von pilozystischen Astrozytomen.
Pilozytische Astrozytome sind die häufigsten Hirntumoren
des Kindesalters. Diese Tumoren wachsen in der Regel sehr langsam. Oft sind sie
aber chirurgisch schlecht zugänglich, so dass sie nicht vollständig entfernt
werden können und daher wiederkehren. Die Erkrankung wird dadurch chronisch,
die betroffenen Kinder sind oftmals schwer beeinträchtigt.
Bereits in ihren vorangegangenen Arbeiten hatten die
Wissenschaftler um Professor Dr. Stefan Pfister und Dr. David Jones bei einem
sehr großen Anteil der pilozytischen Astrozytome charakteristische
Genveränderungen entdeckt. Sie betrafen alle einen wichtigen Signalweg der
Zellen, die so genannte MAPK-Signalkaskade. Die Abkürzung steht für
"Mitogen-aktivierte Protein-Kinase". Dieser Signalweg umfasst in
Serie hintereinander geschaltete Übertragungen von Phosphatgruppen vom einen
Protein zum nächsten - die universelle Art der Zellen, Botschaften an den
Zellkern zu übermitteln. Die MAPK-Signale regulieren zahlreiche grundlegende
biologische Prozesse wie die Embryonalentwicklung oder die Differenzierung, das
Wachstum und den Tod von Zellen.
"Wir hatten bereits vor einigen Jahren die Hypothese
aufgestellt, dass pilozytische Astrozytome grundsätzlich aufgrund einer
fehlerhaft aktivierten MAPK-Signalgebung entstehen", sagt David Jones, der
Erstautor der Arbeit. "Bei etwa einem Fünftel der Fälle hatten wir
zunächst aber keine solchen Mutationen gefunden. Bei der Gesamtanalyse der
Genome von 96 Tumoren sind wir jetzt bei drei weiteren am MAPK-Signalweg
beteiligten Genen auf aktivierende Defekte gestoßen, die bisher beim Astrozytom
noch nicht beschrieben worden waren."
"Wir finden in den Tumoren neben den MAPK-Mutationen
keine weiteren gehäuft auftretenden Erbgutveränderungen, die das Krebswachstum
antreiben könnten. Das ist ein besonders sicheres Indiz dafür, dass überaktive
MAPK-Signale notwendig dafür sind, dass ein pilozytisches Astrozytom
entsteht", sagt Studienleiter Stefan Pfister, der zusätzlich zu seiner
Forschung als Kinderarzt im Universitätsklinikum Heidelberg arbeitet. Die
Erkrankung ist daher ein Prototyp der wenigen Krebsarten, denen Störungen eines
einzelnen biologischen Signalprozesses zugrunde liegen.
Insgesamt enthält das Erbgut der pilozytischen
Astrozytome weitaus weniger Veränderungen als etwa das der Medulloblastome,
einem weitaus bösartigeren kindlichen Hirntumor. Der Befund steht im Einklang
mit dem weniger Aggressiven Wachstum der Astrozytome. Die Anzahl der
genetischen Veränderungen stieg mit dem Alter der Betroffenen.
Etwa die Hälfte der pilozytischen Astrozytome entstehen
im Kleinhirn, die übrigen 50 Prozent in verschiedenen anderen Hirnregionen. Die
Kleinhirn-Astrozytome sind genetisch sogar noch deutlich homogener als die
anderen Erkrankungen: In 48 der 49 untersuchten Fälle stießen die Forscher hier
auf Fusionen zwischen dem BRAF-Gen, einer zentralen Komponente des
MAPK-Signalwegs, und wechselnden Fusionspartnern.
"Die wichtigste Schlussfolgerung aus unseren
Ergebnissen ist", so der Studienleiter Stefan Pfister, "dass
potentiell für alle pilozytischen Astrozytome zielgerichtete Wirkstoffe zur
Verfügung stehen, die eine überaktive MAPK-Signalkaskade an verschiedenen
Stellen der Kaskade blockieren können. Damit können wir hoffentlich zukünftig
auch den Kindern helfen, deren Tumoren operativ schwer zugänglich sind."
Internationale Zusammenarbeit bei der Analyse des
Tumorerbguts
Das Internationale Krebsgenom-Konsortium (ICGC), ein
Verbund von Wissenschaftlern aus inzwischen 15 Ländern, hat zum Ziel, die
charakteristischen Genom- und Epigenom-Veränderungen bei allen wichtigen
Krebserkrankungen zu erfassen. Deutschland beteiligt sich mit
"PedBrain-Tumor", einem Projekt zur Analyse von kindlichen
Hirntumoren (Medulloblastome, an denen in Deutschland etwa hundert Kinder
jährlich erkranken, sowie pilozytische Astrozytome, die jedes Jahr bei etwa 200
Kindern diagnostiziert werden). Im Rahmen von PedBrain-Tumor sollen von beiden
Erkrankungen jeweils 300 Tumorproben analysiert werden. Dazu kommt die gleiche
Anzahl von gesunden Proben derselben Patienten, um Veränderungen als
krebsspezifisch erkennen zu können.
Im PedBrain-Tumor-Verbund forschen Wissenschaftler aus
sieben Institutionen unter der Federführung von Peter Lichter (DKFZ). In
Heidelberg sind neben dem Deutschen Krebsforschungszentrum das Nationale Centrum
für Tumorerkrankungen (NCT), die Universität, das Universitätsklinikum sowie
das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) beteiligt. Außerdem übernehmen
Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Düsseldorf und vom Max-Planck-Institut
für Molekulare Genetik in Berlin Aufgaben im Verbundprojekt.
Die Deutsche Krebshilfe unterstützte PedBrain-Tumor mit 8
Millionen Euro, das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das
Projekt mit weiteren 7 Millionen Euro.
David T.W. Jones. Barbara Hutter, Natalie Jäger, Andrey
Korshunov, Marcel Kool, Hans-Jörg Warnatz, Thomas Zichner, Sally R. Lambert,
Marina Ryzhova, Dong Anh Khuong Quang, Adam M. Fontebasso, Adrian M. Stütz,
Sonja Hutter, Marc Zuckermann, Dominik Sturm, Jan Gronych, Bärbel Lasitschka,
Sabine Schmidt, Huriye Şeker-Ci1, Hendrik Witt, Marc Sultan, Meryem Ralser,
Paul A. Northcott, Volker Hovestadt, Sebastian Bender, Elke Pfaff, Sebastian
Stark, Damien Faury, Jeremy Schwartzentruber, Jacek Majewski, Ursula D. Weber,
Marc Zapatka, Benjamin Raeder, Matthias Schlesner, Catherine L. Worth, Cynthia
C. Bartholomae, Christof von Kalle, Charles D. Imbusch, Sylwester Radomski,
Chris Lawerenz, Peter van Sluis, Jan Koster, Richard Volckmann, Rogier
Versteeg, Hans Lehrach, Camelia Monoranu, Beate Winkler, Andreas Unterberg,
Christel Herold-Mende, Till Milde, Andreas E. Kulozik, Martin Ebinger, Martin
U. Schuhmann, Yoon-Jae Cho, Scott L. Pomeroy, Andreas von Deimling, Olaf Witt,
Michael D. Taylor, Stephan Wolf, Matthias A. Karajannis, Charles G. Eberhart,
Wolfram Scheurlen, Martin Hasselblatt, Keith L. Ligon, Mark W. Kieran, Jan O.
Korbel, Marie-Laure Yaspo, Benedikt Brors, Jörg Felsberg, Guido Reifenberger,
V. Peter Collins, Nada Jabado, Roland Eils, Peter Lichter und Stefan M. Pfister
on behalf of the ICGC PedBrain Tumor Project: Recurrent alterations in FGFR1
and NTRK2 represent novel therapeutic targets in childhood astrocytoma.
Nature Genetics (2013) DOI:10.1038/ng.2682
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter
Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist
ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das
DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu
10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter www.dkfz.de/pressemitteilungen
Dr. Stefanie Seltmann
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Deutsches
Krebsforschungszentrum Im Neuenheimer Feld 280 D-69120 Heidelberg
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Dr. Sibylle Kohlstädt
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Deutsches Krebsforschungszentrum
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