Hochbegabungspresse
Eigene Bestandteile zu verdauen ist eine
Überlebensstrategie, die Zellen hilft, Hunger und Mangelzustände zu überstehen.
Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem
Universitätsklinikum Heidelberg entdeckten nun bei therapieresistenten
Neuroblastomen ein Enzym, das die Selbstverdauung fördert und die Krebszellen
damit vor der Chemotherapie schützt. Eine gezielte Blockade des Enzyms könnte
Krebszellen wieder für die Behandlung sensibilisieren.
Neuroblastome sind Tumoren des Kindesalters, die aus
Zellen des embryonalen Nervensystems entstehen. Die Erkrankungen verlaufen
extrem unterschiedlich, sie können sich spontan zurückbilden, aber auch einen
tödlichem Ausgang nehmen. Nur wenige der besonders aggressiven Neuroblastomen
sprechen erfolgreich auf eine Chemotherapie an. Es ist daher dringend
notwendig, die Resistenzmechanismen dieser besonders aggressiven Neuroblastome
zu verstehen und gezielt zu durchbrechen.
Wissenschaftler aus der Abteilung von Professor Dr. Olaf
Witt im Deutschen Krebsforschungszentrum und im Universitätsklinikum Heidelberg
suchen nach Möglichkeiten, Neuroblastome wirksamer zu behandeln. Besonders im
Blick haben die Forscher die Rolle der 18 verschiedenen HDAC-Enzyme, die bei
dieser Erkrankung offensichtlich auf ganz unterschiedliche Art und Weise die
Aggressivität der Tumoren fördern. Dr. Ina Oehme und ihre Kollegen aus Olaf
Witts Abteilung untersuchten nun bei Hochrisiko-Neuroblastomen, ob eines der
verschiedenen Mitglieder der HDAC-Familie mit der Empfindlichkeit der Tumoren
gegen Chemotherapien in Zusammenhang steht. Dabei entdeckte sie, dass genau
jene Hochrisiko-Tumoren gut auf die Behandlung ansprachen, die vor
Therapiestart nur geringe Mengen von HDAC10 bilden.
Die Heidelberger Forscher schalteten daraufhin experimentell
in hochaggressiven Neuroblastomzellen in der Kulturschale HDAC10 gezielt mit
einem experimentellen Wirkstoff oder durch eine Genblockade aus. Diese Zellen
behandelten sie dann mit dem Chemotherapeutikum Doxorubicin. Eine solche
Behandlung löst in Neuroblastomzellen normalerweise die als Autophagie
bezeichnete Selbstverdauung aus, eine Art von Recycling zelleigener
Bestandteile. Mit diesem entwicklungsgeschichtlich uralten Überlebensprogramm
schützen sich Zellen vor Hungerphasen. Besonders aggressive Krebszellen nützen
die Autophagie, um den durch die Zellgifte ausgelösten Stress besser zu
überstehen.
In Neuroblastomzellen, denen funktionierendes HDAC10
fehlte, war jedoch der mehrstufige Prozess der Selbstverdauung von
Zellbestandteilen an einem bestimmten Punkt unterbrochen. Erwartungsgemäß waren
diese Zellen wieder empfindlich für das Krebsmedikament. Als Gegenprobe
kurbelten die Forscher die Aktivität des HDAC10-Gens in Neuroblastomzellen
stark an, was die Zellen vor einer anschließenden Chemotherapie schützte.
"HDAC10 spielt offenbar eine Schlüsselrolle bei
Selbstverdau und Chemotherapie-Resistenz der Hochrisiko-Neuroblastome",
fasst Olaf Witt die Ergebnisse zusammen. "In fortgeschrittenen Tumoren
kann ein besonders hoher HDAC10-Spiegel ein Biomarker für Resistenz sein. Mit
einem Medikament, das HDAC10 gezielt ausschaltet, könnten gerade die
Neuroblastome, die besonders schlecht auf die Chemotherapie ansprechen, wieder
wirksamer behandelt werden."
Ina Oehme, Jan-Peter Linke, Barbara C. Böck, Till Milde,
Marco Lodrini, Bettina Hartenstein, Inga Wiegand, Christian Eckert, Wilfried
Roth, Marcel Kool, Sylvia Kaden, Herrmann-Josef Gröne, Johannes H. Schulte,
Sven Lindner, Anne Hamacher-Brady, Nathan R. Brady, Hedwig E. Deubzer und Olaf
Witt. Histone deacetylase 10 promotes autophagy-mediated cell survival.
Proceedings of the National Academy of Sciences 2013, DOI:
10.1073/pnas.1300113110
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin
mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger
Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90
Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom
Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
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