Hochbegabungspresse
Ursache des CHARGE-Syndroms, einer schweren
Entwicklungsstörung, ist ein genetischer Defekt. Wissenschaftler aus dem
Deutschen Krebsforschungszentrum veröffentlichten nun in der Fachzeitschrift
Cell Stem Cell, dass diese Mutation die Reifung von Nerven-Stammzellen
blockiert. Das erklärt, warum CHARGE-Patienten geistig beeinträchtigt sind und
Lernschwierigkeiten haben. Die DKFZ-Forscher zeigten an Mäusen, dass
Lauftraining den Stammzelldefekt kompensiert.
Dem CHARGE Syndrom*, einer angeborenen
Entwicklungsstörung, liegt ein genetischer Defekt zugrunde. Er führt zu
charakteristischen Missbildungen in verschiedenen Organen. Weltweit ist etwa
eins von 8500 Neugeborenen betroffen. Der typische Defekt im Gen CHD7 entsteht
meist spontan, wird also nicht von den Eltern vererbt.
Dr. Haikun Liu erforscht mit seiner Nachwuchsgruppe im
Deutschen Krebsforschungszentrum die Regulation adulter Stammzellen im
zentralen Nervensystem. Die Wissenschaftler untersuchen die Rolle dieser Zellen
bei verschiedenen Erkrankungen, etwa bei geistiger Behinderung oder
Hirntumoren. CHARGE-Patienten sind intellektuell beeinträchtigt und haben
Lernschwierigkeiten -Liu und Kollegen wollten nun klären, ob bei dieser
Krankheit auch ein Defekt im zentralen Nervensystem eine Rolle spielt.
Um zu verstehen, welche molekulare Rolle eine
CHD7-Mutation bei der Entstehung des charakteristischen Krankheitsbilds spielt,
züchteten die Forscher mit molekularbiologischen Methoden spezielle Mäuse,
deren CHD7-Gen in den Nerven-Stammzellen spezifisch ausgeschaltet werden kann.
So lässt sich während des ganzen Lebens der Maus beobachten, wie Stammzellen
ohne CHD7 wachsen, differenzieren und ausreifen.
Unabhängig davon, ob die Forscher die CHD7-Produktion
erst in den Stammzellen erwachsener Mäuse ausschalteten oder bereits im
embryonalen Gehirn - die Auswirkung war dieselbe: Die Zellen konnten nicht mehr
zu reifen Nervenzellen ausdifferenzieren. Normale reife Nervenzellen bilden komplexe
Netzwerke untereinander aus, die zentral für die Informationsverarbeitung im
Gehirn sind. Neurone dagegen, die aus den Stammzellen mit blockierter
CHD7-Produktion hervorgehen, sind genau dazu nicht in der Lage.
Besonders beeindruckt waren Liu und sein Team, dass
körperliches Training den CHD7-Defekt kompensiert: Durften die genveränderten
Mäuse in einem Laufrad rennen, was alle Nagetiere mit Begeisterung tun, so
normalisierten sich ihre Nervenzellen sowohl funktionell als auch morphologisch
und bildeten funktionierende Netzwerke aus.
Dass Lauftraining die Entstehung neuer Nervenzellen im
erwachsenen Organismus dramatisch steigert, hatten Wissenschaftler auch schon
beim Menschen gezeigt. "Wir waren aber verblüfft, dass das Training sogar
den CHD7-Defekt kompensieren kann und wollen nun unbedingt aufklären, welcher
molekulare Mechanismus dahintersteckt", sagt Haikun Liu. Er geht davon
aus, dadurch sogar Ansätze zur Behandlung bestimmter Symptome der schweren
Erkrankung finden zu können.
CHD7 kodiert für ein Protein, das dafür sorgt, dass Gene
abgelesen werden können. Im Zellkern wird die DNA zusammen mit Proteinen zu
perlenförmigen "Nukleosomen" aufgewickelt. Diese Perlschnur wiederum
verdrillt sich zum Chromatin, dem Material, aus dem die Chromosomen bestehen.
So genannte "Chromatin Remodeler" zu denen auch CHD7 zählt, sind
wichtige Steuerelemente der Genaktivität. Sie halten die Schaltregionen der
einzelnen Gene frei von Nukleosomen und damit zugänglich für die Proteine, die
das Gen ablesen. Daher kann eine Mutation in einem Chromatin Remodeler dazu
führen, dass ein breites Spektrum von Genen fehlreguliert wird.
CHD7 ist außerdem als Krebsgen bekannt, das bei
zahlreichen Tumorerkrankungen des Menschen, darunter Hirntumoren, Lungen- und
Darmkrebs, verändert ist. Da Differenzierungs-Blockaden von Stammzellen, wie
sie durch den CHD7-Defekt entstehen, eine bekannte Ursache für die
Krebsentstehung sind, haben Liu und Kollegen mit ihrer Arbeit zugleich
dargelegt, auf welche Weise defektes CHD7 zu Krebs führen kann.
Darüber hinaus gelten CHD7-Defekte auch als Risikofaktor
für Autismus, und viele CHARGE-Patienten sind tatsächlich Autisten. Offenbar
spielt dieses Gen bei einer Vielfalt an Vorgängen in unserem Körper eine
wichtige Rolle. "Mit unserem Maus-Modell können wir nun auch in anderen
Zelltypen mitverfolgen, was passiert, wenn wir CHD7 abschalten. Davon erwarten
wir aufschlussreiche Ergebnisse über die Rolle von CHD7 bei den verschiedenen
Erkrankungen.", sagt Haikun Liu.
*CHARGE: Coloboma of the eye, Heart defects, Atresia of
the choanae, severe Retardation of growth and development, Genital
abnormalities, and Ear abnormalities
Weijung Feng, Muhammad Amir Khan, Pablo Bellvis, Zhe Zhu,
Olga Bernhardt, Christel Herold-Mende und Haikun Liu: The Chromatin Remodeller
CHD7 regulates Neurogenesis via Activation of SoxC Transcription Factors. Cell
Stem Cell 2013, DOI: 10.1016/j.stem.2013.05.002
Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur
Verfügung unter:
Legende: Neu entstandenes Neuron in Gehirn einer Maus.
Haikun Liu, Deutsches Krebsforschungszentrum
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter
Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist
ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das
DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu
10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter www.dkfz.de/pressemitteilungen
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