Hochbegabungspresse
10. Mai 2013
(Sel)
Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum
haben einen bisher unbekannten Schalter entdeckt, mit dem die Zelle bestimmen
kann, wie viel sie von einem bestimmten Eiweiß herstellt. Es handelt sich um
eine haarnadelförmige Struktur in der Boten-RNA – der Abschrift eines Gens –,
von der wiederum die Information für das Eiweiß abgelesen wird. Sobald sich die
Haarnadel bildet, lagern sich verschiedene zelluläre Bestandteile daran und
bauen die Boten-RNA ab. Damit verhindert die Zelle, dass sie zu viel eines
Eiweißes herstellt, das in größeren Mengen schädlich wäre. Ihre Ergebnisse
haben die Forscher um Georg Stoecklin im Fachjournal Cell veröffentlicht.
Schon vor einigen Jahren hat Dr. Georg Stoecklin,
Nachwuchsgruppenleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum, den kurzen
Abschnitt auf der Boten-RNA des Tumor-Nekrose Faktors TNF entdeckt. „Bestimmte
Zellen des Immunsystems, insbesondere Makrophagen, bilden TNF, wenn Erreger in
den Körper eindringen. Das lockt andere Immunzellen an, macht Blutgefäße
durchlässiger und ruft eine Entzündung – die Gegenreaktion des Körpers hervor“,
beschreibt Stoecklin die Wirkung von TNF. „Es ist absolut lebenswichtig, dass
die Makrophagen nicht zu viel und nicht zu lange TNF herstellen, sonst droht
ein septischer Schock!“ Als sie das Gen für TNF genauer untersuchten, stießen
die Forscher auf einen Abschnitt am Ende des Gens, der bei allen Säugetieren
„hochkonserviert“ ist: die Buchstabenfolgen auf der Erbsubstanz DNA sind in
diesem Bereich fast exakt gleich. „Das ist immer ein Anzeichen dafür, dass so
ein Bereich sehr wichtig ist“, erklärt Stoecklin sein daraufhin stark
gestiegenes Interesse an der Region.
„Wir haben anschließend untersucht, ob dieser Bereich
auch bei anderen Genen vorhanden ist und wurden bei mehr als fünfzig Genen
fündig“, sagt Kathrin Leppek, die Erstautorin der Arbeit. Darunter befanden
sich viele weitere Gene, die im Immunsystem wichtig sind, aber auch solche, die
während der Embryonalentwicklung eine Rolle spielen. „Sowohl bei der
Immunantwort als auch während der Entwicklung sind bestimmte Gene immer nur für
kurze Zeit aktiv. Die Zelle muss sicherstellen, dass sie diese Gene auch
schnell wieder abschalten kann“, sagt Leppek. „Dafür ist es notwendig, die
bereits hergestellten Abschriften des Gens, die Boten-RNA, abzubauen.“ Im
weiteren Verlauf ihrer Doktorarbeit fand sie heraus, dass sich der kurze
Abschnitt in der Boten-RNA zu einer Art Haarnadel faltet: Ein kurzer Stamm, bei
dem sich jeweils passende Basen aneinander lagern, und eine enge Schlaufe am
oberen Ende der „Haarnadel“. „Eine so auffällige Struktur erkennen und binden
normalerweise zelluläre Eiweiße“, erklärt Stoecklin den nächsten Schritt, „also
haben wir nach solchen Bindeeiweißen gesucht“. Mit Hilfe eines neuen
Aufreinigungsverfahrens, welches die Gruppe entwickelt hat, wurden die
Wissenschaftler fündig: An die Haarnadel bindet das Eiweiß Roquin, das die
Wissenschaftler zwar schon kannten, dessen genaue Funktionsweise aber bisher
nicht beschrieben war. Die Wissenschaftler fanden nun heraus, dass Roquin – an
die RNA gebunden – seinerseits ein RNA-zerstörendes Enzym bindet, eine
Ribonuklease, welche die Boten-RNA daraufhin abbaut. Sobald die Wissenschaftler
die Haarnadelstruktur durch Eingriffe ins Gen verhinderten, wurde die RNA nicht
mehr abgebaut. „Damit haben wir gezeigt, dass die Haarnadel dafür
verantwortlich ist, dass die Boten-RNA nur kurz aktiv ist und das von ihr
codierte Eiweiß nur für kurze Zeit hergestellt wird.“
Bei Rheuma und anderen chronischen Entzündungen, aber
auch bei der starken Auszehrung von Krebspatienten, der Kachexie, könnte man
diesen Prozess ausnutzen, denn bei diesen Erkrankungen wird TNF über längere
Zeit in zu großer Menge hergestellt. „Hier wäre es natürlich interessant
einzugreifen, indem man die Haarnadel-Roquin-Verbindung stärkt und damit den
Abbau der TNF Boten-RNA beschleunigt“, spekuliert Georg Stoecklin. Leider ist
es meist einfacher, eine solche Interaktion zu stören, als sie zu
stabilisieren. „Es lohnt sich aber auf jeden Fall, daran zu arbeiten“, zeigt
sich Stoecklin überzeugt und benennt damit das Ziel seiner zukünftigen
Forschung.
Kathrin Leppek, Johanna Schott, Sonja Reitter, Fabian
Poetz, Ming C. Hammond and Georg Stoecklin. Roquin Promotes Constitutive mRNA
Decay via a Conserved Class of Stem-Loop Recognition Motifs, Cell (2013), DOI:
10.1016/j.cell.2013.04.016
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter
Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist
ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das
DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu
10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Diese Pressemitteilung ist abrufbar unter www.dkfz.de/pressemitteilungen
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