Fortsatz einer Nervenzelle
innerhalb des „rostralen“ Teils des Rattenhirns.
Die Schwellungen werden durch
die Ansammlung von Alpha-Synuclein
hervorgerufen. Quelle: DZNE / A. Ulusoy
Hochbegabungspresse
Proteine auf Wanderschaft: Neues Tiermodell gibt
Einblicke in die Mechanismen der Parkinson-Krankheit
Bonn, 24. Mai 2013 – Bei der Parkinson-Erkrankung sammeln
sich Klumpen des Proteins „Alpha-Synuclein“ in Nervenzellen an. Je weiter die
Krankheit fortschreitet, desto weiter breiten sich diese schädlichen
Proteinansammlungen in bestimmte Bereiche des Gehirns aus. Die Vorgänge, die
dieser Ausbreitung zu Grunde liegen, sind bislang kaum verstanden. Sie könnten
darauf beruhen, dass sich das Protein – oder abnorme Versionen davon – über
Nervenverbindungen zwischen niederen und höheren Hirnregionen ausbreitet.
Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen
(DZNE) in Bonn haben eine neue experimentelle Methode entwickelt, die das
typische Muster dieser Ausbreitung erstmals nachbildet und so wichtige
Einblicke in die Mechanismen der Krankheit ermöglicht. Hierzu induzierten die
Forscher im Hirnstamm von Ratten die Produktion von menschlichem
Alpha-Synuclein und verfolgten die Ausbreitung des Proteins in höher gelegene
Hirnbereiche. Das neue Modellverfahren könnte Wege aufzeigen, um den Krankheitsverlauf
beim Menschen zu verlangsamen oder zu stoppen. Das Forscherteam um Prof. Donato
Di Monte stellt diese Ergebnisse nun im Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“
vor.
Parkinson ist eine Erkrankung des Nervensystems, die in
der Regel Bewegungsstörungen auslöst, welche beispielsweise mit
unkontrollierbaren Zitterbewegungen der Gliedmaßen einhergehen. Überdies
verursacht sie auch nicht-motorische Symptome wie Schlafstörungen und
Depressionen.
Bislang ist die Parkinson-Krankheit nicht heilbar, auch
wenn manche Therapien in der Lage sind, bestimmte Symptome zu lindern. Dazu
zählt beispielsweise die Behandlung mit Arzneimitteln, die die Wirkung des
körpereigenen Botenstoffes Dopamin nachahmen und die Bewegungsstörungen
verringern. Parkinson ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung nach
Alzheimer. Es wird geschätzt, dass allein in Deutschland 100.000 bis 300.000
Menschen von Parkinson betroffen sind.
Zu einem kleinen Prozentsatz geht Parkinson auf
genetische Faktoren zurück, die familiär vererbt werden. Doch für die
überwiegende Mehrheit der Fälle ist die Krankheitsursache unbekannt. Die
Entwicklung dieser sporadisch auftretenden Krankheitsform wird wahrscheinlich
von Umwelteinflüssen und genetischen Risikofaktoren gefördert. Auffällig ist,
dass sich im Gehirn von Patienten mit sporadischem und familiären
Parkinson-Syndrom Protein-Ansammlungen in den Nervenzellen bilden und dort
ablagern. Diese Ablagerungen wurden erstmals vom deutschen Neurologen Friedrich
Lewy beschrieben und werden daher „Lewy-Körperchen“ genannt.
„Es war eine wichtige Entdeckung in den späten
90er-Jahren, dass Lewy-Körperchen entstehen, wenn das Protein Alpha-Synuclein
verklumpt“, sagt Di Monte. „Seitdem hat man auch nachweisen können, dass sich
im Laufe der Erkrankung Alpha-Synuclein fortschreitend im Gehirn von Patienten
mit Parkinson-Syndrom ansammelt.“
Pathologische Untersuchungen von menschlichen Gehirnen
zeigen, dass in der Regel die Ablagerungen zunächst im Hirnstamm, in einem
Gebiet namens „Medulla oblongata“ entstehen. In späteren Krankheitsstadien
werden diese Aggregate jedoch auch zunehmend in höheren („rostralen“) Hirnregionen beobachtet. Dazu
gehören das Mittelhirn und die Hirnrinde.
„Diese Ausbreitung scheint einem typischen Muster zu
folgen, das auf anatomischen Verbindungen zwischen den Hirnregionen beruht“,
sagt der Neurowissenschaftler. „So kam die Hypothese auf, dass das Protein
Alpha-Synuclein, oder anomale Formen davon, zwischen miteinander verbundenen
Nervenzellen übertragen werden kann und dass es auf diese Weise innerhalb des
Gehirns wandert. Doch bislang gab es keine Möglichkeit, diese Ausbreitung
ausgehend von der Medulla oblongata im Labor nachzubilden. Unklar ist auch, was
die Übertragung des Proteins oder seiner Aggregate zwischen den Neuronen
auslösen könnte. Wir haben nun ein experimentelles Modell entwickelt, das die
Untersuchung dieser grundlegenden Fragen ermöglicht.“
Vom Nacken ins Gehirn
Das Konzept der Forscher beruht darauf, die Ausbreitung
von Alpha-Synuclein in Ratten nachzubilden: Dafür schleusten sie den Bauplan
der menschlichen Variante von Alpha-Synuclein in das Gehirn der Ratten ein. Als
Transportmittel diente ein maßgeschneidertes Virus-Teilchen. Dieses wurde von
den Wissenschaftlern in Nervenfasern im Nacken der Tiere injiziert. Über diese
Fasern gelangte der genetische Bauplan des Proteins bis in die Medulla
oblongata. Dortige Nervenzellen, die das Erbgut aufgenommen hatten, begannen
nun damit, menschliches Alpha-Synuclein in großen Mengen herzustellen.
„Wir haben gute Gründe davon auszugehen, dass die Medulla
oblongata ein primärer Entstehungsort der frühen Krankheitsentwicklung ist.
Deshalb wollten wir die Produktion von menschlichem Alpha-Synuclein gezielt in
diesem Teil des Gehirns induzieren. Die Medulla oblongata ist über chirurgische
Eingriffe schwierig zu erreichen. Aus diesem Grund haben wir die Viruspartikel
in den Nervus Vagus injiziert. Das ist ein langer Nerv, der sich vom Bauchraum
über den Nacken bis zur Medulla oblongata ausdehnt. Der Nerv diente als Zugang
zum Gehirn und insbesondere zur Medulla oblongata“, erläutert Di Monte.
Ein wanderndes Protein
Die Forscher verfolgten die Produktion und Ausbreitung
des menschlichen Alpha-Synucleins im Rattenhirn über einen Zeitraum von
viereinhalb Monaten nach Verabreichung der Viruspartikel. Wie vorhergesagt,
wurde das fremde Protein nur in solchen Nervenzellen der Medulla oblongata
hergestellt, die mit dem Nervus Vagus verbunden waren. Nach zwei Monaten jedoch
fanden die Forscher das menschliche Protein auch in Hirnregionen, die von der
Medulla oblongata mehr und mehr entfernt lagen. Diese „caudo-rostrale“
Ausbreitung von niederen in höhere Hirnregionen geschah von Nervenzelle zu
Nervenzelle und entlang bestimmter Nervenbahnen. In den Fortsätzen jener Nervenzellen, die
menschliches Alpha-Synuclein aufgenommen hatten, stellten die Wissenschaftler
morphologische Veränderungen (zum Beispiel Schwellungen) fest.
Die Studie, die zum Teil durch die Blanche A. Paul
Foundation finanziert wurde, liefert eine Reihe wichtiger Befunde: Sie
reproduziert ein Muster der Protein-Verteilung, dass die fortschreitenden
Ausbreitung von krankhaftem Alpha-Synuclein, wie sie beim Parkinson-Syndrom
auftritt, simuliert. Ein ebenso wichtiges Ergebnis ist, dass die Ausbreitung
durch Überproduktion von Alpha-Synuclein im Hirnstamm ausgelöst wurde.
„Die Überproduktion von Alpha-Synuclein ist einer der
Faktoren, die maßgeblich die Entwicklung von Parkinson fördern können. Weitere
Faktoren sind z.B. der Alterungsprozess, neuronale Verletzungen oder genetische
Polymorphismen“, so Di Monte. „Unsere Ergebnisse deuten daraufhin, dass es eine
mechanistische Verbindung zwischen den Risikofaktoren der Erkrankung, einem
erhöhtem Alpha-Synuclein-Spiegel, der Verbreitung des Proteins und seiner
krankhaften Anhäufung gibt.“
Einblick in Anfangsstadium von Parkinson
Das neue Modell ahmt Ereignisse nach, die wahrscheinlich
in den frühen Stadien dieser Erkrankung auftreten – in Abwesenheit von Verhaltensauffälligkeiten
(bei Ratten) oder klinischen Anzeichen (bei Patienten). „Es wird daher ein
wertvolles Werkzeug sein, um Mechanismen der frühen Krankheitsentwicklung zu
untersuchen. Mechanismen, die man therapeutisch gezielt ansprechen könnte. Ein
frühzeitiger Eingriff hat eine größere Wahrscheinlichkeit, die Ausbreitung der
Pathologie und das Fortschreiten der Krankheit zu verhindern oder zu stoppen“,
sagt Di Monte.
Originalveröffentlichung
„Caudo-rostral Brain Spreading of α-Synuclein through Vagal
Connections“, Ayse Ulusoy, Raffaella Rusconi, Blanca I. Pérez-Revuelta, Ruth E.
Musgrove, Michael Helwig, Bettina Winzen-Reichert, Donato A. Di Monte EMBO
Molecular Medicine (2013), DOI: 10.1002/emmm.201302475 - http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/emmm.201302475/abstract
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
(DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und entwickelt
Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege. Es ist eine Einrichtung in der
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren mit Standorten in Berlin,
Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen und
Witten. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, deren Kliniken und
außeruniversitären Einrichtungen. Website: www.dzne.de
Kontakt
Prof. Dr. Donato Di Monte
Gruppenleiter
DZNE, Bonn
Tel.: 0228/43302-650
E-Mail: donato.dimonte@dzne.de
Dr. Marcus Neitzert
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
DZNE, Bonn
Tel.: 0228/43302-271
E-Mail: marcus.neitzert@dzne.de