Fotograf: Leo Pompinon
Hochbegabungspresse
Zum 31. Dezember 2012
läuft eine Regelung des Urheberrechts aus. Sie regelt Lern- und
Lehrbedingungen an Hochschulen und bestimmt das Angebot der Bibliotheken dort.
Sollte der Paragraph 52a UrhG bis Jahresende nicht verlängert werden, dann
wird wissenschaftliches Arbeiten in wesentlichen Bereichen zum juristischen
Problemfall – und es gibt weitere Gesetzeslücken.
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Mit einer Rekordzahl an Studierenden beginnt in diesen Tagen das
Campus-Leben im neuen Wintersemester. Weit mehr als zwei Millionen junge
Menschen haben sich an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Bibliotheken
sind aus ihrem Leben nicht wegzudenken. Dort finden sie Fachlektüre,
Arbeitsplätze und die Materialien, die ihnen ihre Dozenten in den sogenannten
Semesterapparaten zusammenstellen: Auszüge aus Fachartikeln etwa.
Ihr Start in das Wissenschaftsleben könnte in diesem Semester einen
herben Rückschlag erleben. Brenzlig ist die Situation wegen des Paragraphen
52a UrhG (Urheberrechtsgesetz). Darin ist geregelt, dass Studierenden und
Forschern, die etwa an einem Seminar teilnehmen, urheberrechtlich geschützte
Werke in Ausschnitten zugänglich gemacht werden dürfen. Professoren haben
damit die Möglichkeit, ihren Studierenden Textauszüge in den
Semesterapparaten zusammenzustellen. Doch der Paragraph läuft zum 31.
Dezember dieses Jahres aus.
Bibliothekare wünschen sich eine
Entfristung des Paragraphen
Wenn der Gesetzgeber nicht mindestens eine Verlängerung der
Geltungsdauer der Vorschrift beschließt, könnte zum Jahresende also Schluss
mit diesem Bildungsangebot sein. „Viele Unterrichtsformen und der Austausch
von Texten in Forscherteams würden damit illegal“, sagt Dr. Frank Simon-Ritz,
der Direktor der Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität Weimar und
Vorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv). „Wir brauchen
nicht nur eine Verlängerung, sondern endlich auch eine Entfristung des
Paragraphen 52a“, sagt Simon-Ritz.
Schon seit Monaten gewinnen die Appelle an die Justizministerin Sabine
Leutheuser-Schnarrenberger an Nachdruck. „Wir brauchen dringend eine
dauerhafte Rechtssicherheit“, fordert Barbara Schleihagen, die
Geschäftsführerin des dbv. „Wissenschaft und Forschung werden derzeit dadurch
behindert, dass ihnen die Bibliotheken Informationen nicht in der Weise zur
Verfügung stellen können, wie sie es brauchen.“
„Bibliotheken sind seit jeher sowohl der Produktion als auch der
Rezeption des Wissens verpflichtet“, sagt Simon-Ritz. Auf der einen Seite
setzen sie sich für den Schutz der Interessen von Autoren ein. Zum anderen
orientieren sie sich an den Interessen der Leser und Studierenden. Der
Paragraph 52a UrhG bietet dazu eine praktikable Lösung. Er begrenzt den Kreis
der Leser und regelt eine pauschale, angemessene Vergütung der Rechteinhaber.
Dennoch ist er seit seiner Einführung im Jahr 2003 immer nur befristet
gültig.
„Das ist aus unserer Sicht ein nicht haltbarer Zustand“, sagt Oliver
Hinte, Geschäftsführer der Fachbibliothek Recht der Universität Köln und
Vorsitzender der Rechtskommission des dbv. „Zudem wünschen wir uns, dass auch
die Nutzung der immer stärker nachgefragten elektronischen Medien klarer
geregelt wäre.“ Derzeit werden sie im Gesetzestext nicht explizit genannt.
„Der Gesetzgeber muss dringend klären, dass die Verwendung digitaler Kopien
in so genannten elektronischen Semesterapparaten der Veranschaulichung im
Unterricht dient“, sagt Hinte. Im Internet-Zeitalter nutzten schließlich
sowohl die Studierenden als auch die Lehrenden immer öfter digitale Kopien.
Der Paragraph 52a ist einer der so genannten Schranken-Paragraphen des
Urheberrechtsgesetzes. Er legt fest, dass nur ein bestimmter, abgegrenzter
Personenkreis auf das Material der Semesterapparate zugreifen kann. „Wir
setzen uns dafür ein, dass insbesondere an Hochschulen der Zugang zu
wissenschaftlichen Fachinformationen schneller und leichter möglich sein
muss“, sagt Rechtsexperte Hinte. Eine Lösung wäre aus seiner Sicht eine
allgemeine Wissenschaftsschranke, die für Wissenschaft und Forschung
pauschale Nutzungsformen regelt.
Weitere Baustellen im Urheberrecht
Während sich der Wandel zur digitalen Bibliothek rasant vollzieht, hinkt
das Urheberrecht also hinterher – und der Paragraph 52a ist dabei nicht die
einzige Baustelle. „Dringender Verbesserungsbedarf besteht auch bei den
Sonderregelungen für die digitalen Leseplätze“, sagt Simon-Ritz. In diesem
Fall kommt ein zweiter Schranken-Paragraph, nämlich 52b UrhG, zum Tragen. Er
gestattet es Bibliotheken, Bücher, die sie physisch besitzen, zu
digitalisieren und ihren Besuchern in dieser Form in den Räumen der
Bibliothek zugänglich zu machen – jedoch nur als Bildschirmansicht. „Wir
müssen das Ausdrucken und Herunterladen solcher Dateien technisch unmöglich
machen“, sagt Simon-Ritz. Damit würden die Bibliotheken wieder zu
Skriptorien, in denen Bildschirminhalte von Hand abgeschrieben werden
müssten. Ende September hat der Bundesgerichtshof ein Verfahren zu
elektronischen Leseplätzen ausgesetzt und Fragen dazu dem Europäischen
Gerichtshof vorgelegt. Eine höchstinstanzliche Regelung ist also in greifbare Nähe gerückt.
Ähnlich hinderlich sind die Einschränkungen, die es für digitale Kopien
im Rahmen des Leihverkehrs zwischen den Bibliotheken gibt. „Allerdings
hindern Einschränkungen die Bibliotheken daran, ihren Nutzern digitale Kopien
ihrer Bestellungen zuzusenden“, sagt Simon-Rith. Paragraph 53a UrhG führe
dazu, dass eine digitale Kopie nicht an den Nutzer übermittelt werden könne.
Auch im Hinblick auf die Digitalisierung so genannter „vergriffener“ und
„verwaister“ Werke besteht dringender Handlungsbedarf. Hunderttausende von
ihnen lagern derzeit in Bibliotheken und konnten bislang nicht digitalisiert
werden. An den vergriffenen Werken besteht in der Regel kein
Verwertungsinteresse mehr. Deshalb sind sie im Buchhandel nicht mehr
erhältlich. „Bibliotheken sollten aber die Möglichkeit haben, auch diese
verborgenen Schätze in die digitale Welt zu überführen“, sagt Oliver Hinte.
Bei den verwaisten Werken, bei denen die Rechteinhaber unbekannt sind,
zeichne sich unterdessen eine, wenn auch nicht befriedigende Lösung ab. Nach
einem Beschluss des Europaparlaments Mitte September sollen verwaiste Werke
künftig für nicht-kommerzielle Zwecke im Internet verwendet werden dürfen.
Allerdings stellt die Richtlinie zu hohe Anforderungen an die Suche nach
möglicherweise noch vorhandenen Rechteinhabern, meint Hinte. Sie beseitige
nicht die juristischen Risiken bei Massendigitalisierungsverfahren. „Es wurde
eine große Chance vertan, die kulturellen Errungenschaften ins digitale Zeitalter
zu retten.“ Die Richtlinie muss noch vom Ministerrat beschlossen werden. Dann
kann sie in Kraft treten. „Für die vergriffenen Werke wünschen wir uns eine
deutlich ambitioniertere Lösung“, sagt Hinte.
Für die Bibliotheken steht im Ringen um juristische Regelungen viel auf
dem Spiel. Bis daraus Ernst wird, sind es nur noch wenige Wochen.
(Autor:
dbv, Text: 6554 Zeichen, inkl. Leerzeichen)
Weitere Infos:
Am 24. Oktober 2012 findet von 18
bis 19 Uhr an der Technischen Hochschule Wildau eine Podiumsdiskussion mit
dem Titel „Wem gehört die Wissenschaft? Der Streit ums Urheberrecht zwischen
Forschung und Verlagen“ statt. Am 26. Oktober 2012 wird sie ab 19 Uhr vom
Deutschlandradio Kultur in der Rubrik Wortwechsel ausgestrahlt. Am 25.
Oktober lädt der dbv zu einer Urheberrechts-Veranstaltung in Berlin ein. Das
Symposium mit Podiumsdiskussion trägt den Titel „Urheberrecht für die
Wissensgesellschaft – Herausforderungen in der digitalen Welt“.
Kasten:
Insgesamt sind derzeit mehrere
zehntausend Titel in Deutschland für die elektronische Ausleihe verfügbar.
Für die Bibliotheken treten damit auch rechtliche Fragen. „Denn wir erwerben
von den Verlagen nicht mehr das Buch selbst, sondern lediglich eine Lizenz,
die dem Leser einen Zugang zu dem Medium verschafft“, sagt Barbara Lison. Sie
leitet die Stadtbibliothek Bremen und ist Mitglied im dbv-Vorstand sowie im
Vorstand der internationalen Bibliotheksvereinigung IFLA. Diese Lizenzen
müssen aufwändig verhandelt werden, wobei einige Verlage entweder überhaupt
keine Lizenzen an Bibliotheken vergeben oder Bedingungen stellen, etwa wie
oft oder lange ein E-Book von der Bibliothek an deren Kunden ausgeliehen
werden kann. Die Bibliothekare wünschen sich auch für diese Frage eine Lösung
im Urheberrecht. Die elektronischen Formate, die ein Buch substituieren,
sollten auch wie ein Buch anerkannt sein. Schließlich bestehe ein ideeller
Inhalt unabhängig vom Trägermedium. Wenn eine Bibliothek eine Lizenz erworben
habe, solle sie deshalb damit weiteragieren können, wie mit einem gedruckten
Buch.
(Autor: dbv, Kasten-Text: 1096
Zeichen, inkl. Leerzeichen)
Die bundesweite Aktionswoche
„Treffpunkt Bibliothek“ wird bereits zum fünften Mal vom Deutschen
Bibliotheksverband e.V. (dbv) koordiniert. Vom 24. bis 31. Oktober 2012
präsentieren sich Bibliotheken in ganz Deutschland als Partner für Medien-
und Informationskompetenz sowie für Bildung und Weiterbildung. Sie
veranstalten Lesungen, Ausstellungen, Workshops, Events, Bibliotheksnächte
und viele weitere Aktionen, die im gemeinsamen Terminkalender zu finden sind:
www.treffpunkt-bibliothek.de.
Der Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) sind ca. 2.000
Bibliotheken aller Sparten und Größenklassen Deutschlands
zusammengeschlossen. Der gemeinnützige Verein dient seit mehr als 60 Jahren
der Förderung des Bibliothekswesens und der Kooperation aller Bibliotheken.
Sein Anliegen ist es, die Wirkung der Bibliotheken in Kultur und Bildung
sichtbar zu machen und ihre Rolle in der Gesellschaft zu stärken. Zu den
Aufgaben des dbv gehört auch die Förderung des Buches und des Lesens als
unentbehrliche Grundlage für Wissenschaft und Information, sowie die
Förderung des Einsatzes zeitgemäßer Informationstechnologien.
Kontakt: Deutscher Bibliotheksverband e.V.
Barbara Schleihagen, Geschäftsführerin, Tel.: 030/644 98 99
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E-Mail: dbv@bibliotheksverband.de,
http://www.bibliotheksverband.de, http://www.bibliotheksportal.de
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