Fotograf: Leo Pompinon
Hochbegabungspresse Bücherbusse
haben tausende Medien an Bord, die sie auf ihren Touren direkt zu den Nutzern
bringen. Das schätzen gerade Menschen in ländlichen Regionen. Doch die Zahl der
rollenden Riesen stagniert seit Jahren.
Pünktlich
steht das kleine Grüppchen an der Bushaltestelle. Die Jüngeren tragen
Ohrenstöpsel ihrer MP3-Player. Die Älteren plaudern miteinander. Viel ist nicht
los in dem kleinen Dorf im Landkreis Celle. Hinter dem Ortsschild fährt man
kilometerweit durch Wälder und Wiesen. Was Urlauber an dieser Region idyllisch
finden, bedeutet für die Anwohner lange Wege – zum Einkaufen, zum Arzt, ins
Kino oder in die nächste Bibliothek.
„Weiße
Flecken“ auf der Landkarte werden solche Gegenden genannt. Um den Menschen, die
hier leben, dennoch die Teilhabe an der Wissensgesellschaft zu ermöglichen,
haben die Bibliotheken ein besonderes Angebot: die Bücherbusse. Auf festen
Touren beliefern sie die Leser mit Büchern, CDs, Computerspielen oder
Zeitschriften.
Einer
von ihnen ist der Bücherbus im Landkreis Celle. An vier Tagen pro Woche wird
der mächtige 300-PS-Motor des zwölf Meter langen Vehikels morgens gegen halb
neun angelassen. Dann geht Bibliotheksleiter Johannes von Freymann mit seinem
Fahrer und Bibliotheksmitarbeiter Dieter Dralle auf eine von insgesamt neun
Touren. 85 Haltepunkte fahren sie an. 4000 bis 5000 ihrer insgesamt rund 35.000
Medien haben sie jedes Mal im Gepäck.
16.000
Bestellungen pro Jahr
Die
Haltepunkte fährt der Celler Bus in der Regel alle 14 Tage an. Dann können die
Leser im Angebot des Busses stöbern, vorbestellte Medien abholen, Bestellungen
aufgeben oder ausgeliehene Medien zurückgeben. „Das Angebot der
Fahrbibliotheken wird bundesweit rege genutzt“, sagt von Freymann, der auch
Vorsitzender der Fachkommission Fahrbibliotheken beim Deutschen
Bibliotheksverband e.V. (dbv) ist. 8,7 Millionen Ausleihen gab es im
vergangenen Jahr. 300.000 aktive Nutzer wurden gezählt. „In Celle bearbeiten
wir rund 16.000 Vorbestellungen pro Jahr“, sagt von Freymann. Insgesamt gibt es
über den Celler Bücherbus knapp 130.000 Ausleihen pro Jahr. Die
Netto-Öffnungszeit des Busses liege bei 19 Stunden pro Woche.
Doch
obwohl dieser Bedarf besteht, sinkt die Zahl der Fahrbibliotheken, die die
derzeit 112 Bücherbusse in Deutschland betreiben, seit Jahren. Gab es 1978 noch
135 Fahrbibliotheken und 1996 sogar 155, ist die Gesamtzahl seither auf 96
zurückgegangen. „Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung“, sagt Johannes von
Freymann. „Damit steigt die Zahl der Menschen, die an unserer
Wissensgesellschaft nicht teilhaben können, und das nur, weil sie am falschen
Ort wohnen.“
1981
ist die Fahrbücherei Celle erstmals in Betrieb genommen worden. Seit 2010 gibt
es den neuen Bus. 423.000 Euro hat das Gefährt gekostet. Er ist mittlerweile
der dritte. Fünf Mitarbeiter und ein Azubi teilen sich vier Stellen. „Wir sind
eine eigenständige Bibliothek“, sagt von Freymann. Mit der Fahrbibliothek
ergänze man das Angebot der Stadt- und der 15 Ortsbüchereien im Landkreis, der
auch Träger des Busses sei. Pro Jahr kostet der Celler Fahrbetrieb 269.000
Euro, die der Landkreis übernimmt. „70 Prozent davon sind Personalkosten“, sagt
von Freymann. Der Förderkreis helfe tatkräftig und bei kleineren Aktionen könne
er auch Sponsoren gewinnen. Doch das ändere nichts daran, dass es eine solide
öffentliche Grundfinanzierung für ein solches Projekt geben müsse.
Grenzüberschreitende
Kooperation
Auch
andernorts haben Bücherbusse eine lange Tradition. Das Angebot der
Stadtbibliothek Freiburg etwa gibt es bereits seit 57 Jahren. „Mit unserer
rollenden Zweigstelle ergänzen wir die Versorgung unserer Stadt“, sagt die
Diplom-Bibliothekarin Christel Karle, die die Fahrbibliothek leitet. Dieses
Projekt ist aber auch ein Beispiel für internationale Kooperation. Seit gut 20
Jahren arbeiten die Breisgauer mit der Bibliothèque Municipale im französischen
Mulhouse zusammen. „Die Bücherbusse der Städte besuchen einmal im Monat ihre
Partnerstadt“, sagt Christel Karle. „Erzieher, binationale Familien oder auch
ältere Elsässer, die in ihrer Kindheit noch Deutsch gelernt haben, nutzen
dieses Angebot.“
Eine
große Nutzergruppe der Busse aus Mulhouse und Freiburg sind Kinder und
Jugendliche. Das ist auch bei anderen Bücherbussen so. Viele ihrer Haltepunkte
befinden sich an Schulen. Der Bücherbus der Stadtbibliothek im Berliner Bezirk
Tempelhof-Schöneberg zum Beispiel fährt wöchentlich neun Grundschulen an. „Ein
Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Leseförderung“, sagt Birgit
Moldenhauer, die Leiterin. „Unsere fahrbare Zweigstelle bietet den Vorteil,
dass wir zu den Grundschülern kommen können und die Kleinen sich nicht durch
die Großstadt zu uns auf den Weg machen müssen.“
„Die
Stimmung bei uns ist eigentlich immer fröhlich“, sagt Dieter Dralle aus Celle.
„Der Bus ist eine Art Treffpunkt für alle.“ Für die Schulen und Kindergärten
könne man zudem wichtige ergänzende Aufgaben erfüllen: Klassensätze mitbringen,
Medienpakete zu bestimmten Themen zusammenstellen oder Leseförderprojekte
unterstützen, indem man Buchvorstellungen, Vorträge oder Autorenlesungen
organisiere.
Abends
gegen 18.30 Uhr ist der Celler Bus in der Regel von seinen Touren zurück. Doch
Feierabend ist dann noch nicht. Die Tagesdaten werden auf den Büroserver
überspielt. Zudem muss der Bus gereinigt werden. Schließlich soll am nächsten
Morgen wieder alles schick sein, wenn der zwölf-Meter-Riese auf seine nächste
Tour geht.
(Autor:
dbv, Text: 5207 Zeichen, inkl. Leerzeichen)
Weitere
Infos:
Infos
zu Fahrbibliotheken:
96
Fahrbibliotheken bundesweit
112
Bücherbusse bundesweit
17,4
% organisatorisch eigenständig
82,6
% Teil eines Bibliothekssystems
8,7
Millionen Entleihungen jährlich
Quelle:
fahrbibliothek.de
Die
bundesweite Aktionswoche „Treffpunkt Bibliothek“ wird bereits zum fünften Mal
vom Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) koordiniert. Vom 24. bis 31.
Oktober 2012 präsentieren sich Bibliotheken in ganz Deutschland als Partner für
Medien- und Informationskompetenz sowie für Bildung und Weiterbildung. Sie
veranstalten Lesungen, Ausstellungen, Workshops, Events, Bibliotheksnächte und
viele weitere Aktionen, die im gemeinsamen Terminkalender zu finden sind:
www.treffpunkt-bibliothek.de.
Der
Deutsche Bibliotheksverband e.V. (dbv)
Im
Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) sind ca. 2.000 Bibliotheken aller
Sparten und Größenklassen Deutschlands zusammengeschlossen. Der gemeinnützige
Verein dient seit mehr als 60 Jahren der Förderung des Bibliothekswesens und
der Kooperation aller Bibliotheken. Sein Anliegen ist es, die Wirkung der
Bibliotheken in Kultur und Bildung sichtbar zu machen und ihre Rolle in der
Gesellschaft zu stärken. Zu den Aufgaben des dbv gehört auch die Förderung des
Buches und des Lesens als unentbehrliche Grundlage für Wissenschaft und
Information, sowie die Förderung des Einsatzes zeitgemäßer
Informationstechnologien.
Kontakt: Deutscher Bibliotheksverband e.V.
Barbara
Schleihagen, Geschäftsführerin, Tel.: 0 30/644 98 99 12