Ein massereicher Stern entsteht: Projektion der
Dichteverteilung der dunklen Materie (Hintergrund und oberes Bild) sowie der
interstellaren Materie (die drei unteren Bilder). Abbildungen: Shingo Hirano,
Takashi Hosokawa, Naoki Yoshida, Rolf Kuiper.
Forscherteam
unter Beteiligung der Universität Tübingen entwirft ein Szenario im frühen
Universum, das die Existenz der rätselhaften supermassereichen Objekte erklären
könnte
Jüngeren
Entdeckungen zufolge sind in einer Entfernung von 13 Milliarden Lichtjahren
supermassereiche Schwarze Löcher zu finden – sie entstanden bereits im frühen
Universum. Schwarze Löcher bestehen aus einer derart kompakten Masse, das die
von ihr erzeugte Schwerkraft in der Umgebung alle Materie und Energie in die
Löcher hineinzieht. Als supermassereich oder supermassiv werden Objekte mit
einer mindestens 100.000-fachen Masse unserer Sonne bezeichnet. Bisher stellte
die schnelle Entstehung der supermassiven Schwarzen Löcher, möglicherweise nur
einige Hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, die Forschung vor Rätsel. Nun
ist es einem internationalen Forscherteam unter Beteiligung von Dr. Rolf Kuiper
vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen gelungen,
das Rätsel mithilfe einer Supercomputer-Simulation zu lösen: Gasströme mit
Überschallgeschwindigkeit, die sich schon beim Urknall formierten, können die
Bildung von schnell wachsenden massiven Schwarzen Löchern verursachen. Die neue
Studie wird in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
„Diese
Erkenntnis ist ein bedeutender Fortschritt“, sagt der Autor Dr. Shingo Hirano,
der zurzeit an der University of Texas in Austin forscht. Eine Entfernung von
13 Milliarden Lichtjahren entspricht dem Zustand des sich immer weiter
ausdehnenden Universums zu einer Zeit, als es erst fünf Prozent des heutigen
Alters erreicht hatte. Bestehende Theorien zur Bildung und Entwicklung der
Schwarzen Löcher in dieser gewaltigen Entfernung von der Erde griffen nicht,
weil auch wenig über die beteiligten physikalischen Mechanismen bekannt ist. In
theoretischen Studien hatten Forscher bisher vermutet, dass sich die Schwarzen
Löcher aus Überresten der ersten Sternengeneration nach dem Urknall gebildet
haben könnten oder direkt durch einen Gravitationskollaps einer frühen
massereichen Gaswolke. Doch zeigte sich, dass die Prozesse viel zu lange dauern
würden, um in kurzer Zeit supermassive Schwarze Löcher zu formen, oder
zumindest hätte dies sehr spezielle Bedingungen erfordert.
Keim
für ein extrem schnelles Sternenwachstum
Das
Forscherteam entdeckte einen vielversprechenden physikalischen Prozess, durch
den sich ein massives Schwarzes Loch schnell genug bilden könnte. Den Schlüssel
bilden Überschallgasströmungen, die mit dunkler Materie wechselwirken. Dunkle
Materie ist nicht sichtbar, Forscher können ihre Existenz nur indirekt
erschließen. Die Supercomputer-Simulation des Forscherteams ergab, dass sich
ein massiver Klumpen dunkler Materie 100 Millionen Jahre nach Entstehung des
Universums gebildet hatte. Die dunkle Materie fing Gasströme mit
Überschallgeschwindigkeit ein, die beim Urknall entstanden waren. Es bildete
sich eine dichte, turbulente Gaswolke. Im Inneren begann sich ein Protostern,
ein Vorstadium eines Sterns, zu entwickeln. „Im umgebenden Gas war mehr als
genug Material, das er aufnehmen konnte. Der Stern wuchs in kürzester Zeit zu
extremer Größe heran, ohne viel Strahlung abzugeben“, sagt Rolf Kuiper, der an
der Universität Tübingen eine Emmy Noether-Forschungsgruppe zur Bildung der
massivsten Sterne im heutigen Universum leitet.
Als
der Stern die 34.000-fache Masse unserer Sonne erreicht hatte, kollabierte er
aufgrund seiner eigenen Schwerkraft und hinterließ ein massives Schwarzes Loch.
Solche massiven Schwarzen Löcher aus dem frühen Universum wuchsen weiter oder
verschmolzen zu supermassiven Schwarzen Löchern. „Unseren Berechnungen zufolge
müsste in jeder Richtung ein massives Schwarzes Loch in drei Milliarden
Lichtjahren zu finden sein – dieser Wert deckt sich bemerkenswert gut mit der
beobachteten Dichte supermassiver Schwarzer Löcher“, sagt Dr. Hirano.
Die
Forscher gehen davon aus, dass die Studienergebnisse eine wichtige Grundlage
für weitere Untersuchungen an massiven Schwarzen Löchern bilden. Denn davon, so
hoffen sie, werden noch viele weitere entdeckt im weit entfernten Universum,
sobald im kommenden Jahr das James-Webb-Weltraumteleskop der NASA ins All
geschossen wird und Daten liefert.
Publikation:
Shingo Hirano, Takashi Hosokawa,
Naoki Yoshida, Rolf Kuiper: Supersonic Gas Streams Enhance the Formation of
Massive Black Holes in the Early Universe. Science,
29. September 2017. DOI: https://doi.org/10.1126/science.aai9119
Kontakt:
Dr.
Rolf Kuiper
Universität
Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche
Fakultät
Institut
für Astronomie und Astrophysik
rolf.kuiper[at]uni-tuebingen.de
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