Die Liquid Biopsy (flüssige Biopsie) ist möglicherweise
eine vielversprechende Methode zur frühen Therapiekontrolle bei
Lungenkrebspatienten. Dies zeigen die Ergebnisse einer wissenschaftlichen
Kooperation zwischen dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dem
Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) und der Thoraxklinik Heidelberg.
Die Forscher verknüpften die Befunde der Liquid Biopsy mit den klinischen Daten
der Patienten und konnten so in Echtzeit verfolgen, wie die Tumoren auf
Krebsmedikamente ansprachen. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt in der neuesten
Ausgabe von Scientific Reports veröffentlicht.
Um eine Krebserkrankung mit neuen, so genannten
zielgerichteten Medikamenten zu behandeln, muss der Arzt zunächst eine Probe
des Tumors analysieren. Dazu entnimmt er eine Gewebeprobe (Biopsie) und
analysiert das Erbgut. Anhand der darin nachgewiesenen Mutationen wählt der
Arzt die passende Therapie.
Die konventionelle Biopsie gilt zwar derzeit als der
Goldstandard, doch ihre Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt. Molekulare
Anomalitäten und Mutationen in Tumoren verändern sich im Verlauf der Zeit und
unter der Behandlung. Diese Erkenntnis warf die Frage auf, ob die Gewebebiopsie
als Methode empfindlich genug ist, um solche dynamischen Veränderungen zu
erfassen. "Außerdem ist die konventionelle Biopsie ein viel invasiveres
und mitunter auch riskantes Verfahren", erklärt Professor Holger Sültmann,
Leiter der Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung am DKFZ.
Seit einigen Jahren setzen Mediziner deshalb Hoffnung in
die sogenannte Liquid Biopsy (flüssige Biopsie). Wenn Zellen absterben, gelangt
ihre DNA ins Blut. Man spricht dann von "zellfreier DNA", kurz cfDNA.
Die cfDNA von Tumorzellen, die nach der Therapie absterben, weist Mutationen
auf, die sich aus einer Blutprobe mittels PCR und nachfolgender Sequenzierung
nachweisen lassen. "Im Unterschied zur Gewebeprobe werden bei der Liquid
Biopsy lediglich ein paar Milliliter Blut entnommen; daraus wird die DNA
isoliert und molekular analysiert", erläutert Sültmann die Vorteile der
neuen Methode.
Ob die Liquid Biopsy genauso sensitiv und zuverlässig wie
eine Gewebeprobe ist und die gewonnenen klinischen Informationen ebenso
aussagekräftig sind, wollte die Forschergruppe nun herausfinden. In
Zusammenarbeit mit Kollegen von der Thoraxklinik Heidelberg untersuchten die
Wissenschaftler vom DKFZ 16 Lungenkrebspatienten, deren Tumoren alle bestimmte
Mutationen aufwiesen und die mit einem Tyrosinkinasehemmer (TKI) behandelt
wurden. Bis zu zwei Jahre lang sammelten die Wissenschaftler von jedem
Patienten regelmäßig Blutplasmaproben, aus denen sie anschließend die DNA
isolierten. Mit digitalen PCR-Tests suchten sie nach mutierter cfDNA und
verglichen die Zahl der nachgewiesenen Mutationen mit den klinischen Daten der
Patienten zu den verschiedenen Zeitpunkten.
"Wir wollten testen, ob es überhaupt möglich ist,
Mutationsveränderungen im (Blut-)Plasma im zeitlichen Verlauf zu
identifizieren, und ob wir diese mit klinischen Parametern in Beziehung setzen
können", so Holger Sültmann. Die Datenanalyse erbrachte drei interessante
Beobachtungen.
Erstens veränderte sich die Zahl der Mutationen bei den
Patienten übereinstimmend mit dem klinischen Verlauf der Erkrankung. So zeigte
sich bei einem Patienten gleich zu Beginn der TKI-Therapie ein drastischer und
unmittelbarer (innerhalb der ersten 26 Stunden) Anstieg der Menge mutierter
cfDNA im Blutplasma, was auf eine Vielzahl abgestorbener Krebszellen hindeutet
und damit auf ein gutes Therapieansprechen. Interessanterweise fiel dieser Spitzenwert
kurz darauf wieder ab, was vermuten lässt, dass die TKI-Therapie in den ersten
Behandlungstagen ihre größte Wirkung hat. "Das zeigt, dass wir zum
Therapiebeginn besonders genau überwachen müssen", bemerkte Sültmann.
Zweitens beobachteten die Wissenschaftler, dass wenig
oder gar keine cfDNA im Blutplasma nachzuweisen war, wenn die Krankheit längere
Zeit unter Kontrolle war und der Tumor nicht wuchs. Und schließlich zeigte sich
bei Patienten, deren Tumor zurückgekehrt war und die kurz darauf verstarben, in
kurzen Zeitabschnitten ein rascher Anstieg der cfDNA-Konzentration. Teilweise
war dieser Anstieg sogar schon vor dem Auftreten klinischer Anzeichen zu
beobachten.
Diese Ergebnisse zeigen, dass die Liquid Biopsy sensitiv
genug ist, um Tumorveränderungen in Echtzeit nachzuweisen. Dabei hat sie
gleichzeitig den Vorteil, dass sie weniger invasiv als eine Gewebeentnahme ist.
Die so gewonnenen molekularen Daten könnten den Klinikern auch Informationen
liefern, die es erlauben, frühzeitig über geeignete therapeutische Strategien
zu entscheiden. Da die Studie jedoch erst an 16 Patienten erfolgt ist, weist
Holger Sültmann darauf hin, dass es noch zu früh für eine generelle Beurteilung
der Liquid Biopsy ist: "Dies ist zunächst ein ,Proof of Concept', mit der
wir zeigen konnten, dass die neue Methode tatsächlich funktioniert. Wir werden
jetzt systematisch cfDNA sammeln und messen, um zu erkunden, was die Liquid
Biopsy unter diesen Umständen tatsächlich zu leisten vermag, und wie sie dabei
helfen kann, das Fortschreiten von Lungenkrebs unter Therapie noch besser zu
verstehen."
Mutation analysis of circulating plasma DNA to determine
response to EGFR tyrosine kinase inhibitor therapy of lung adenocarcinoma
patients.
Riediger AL, Dietz S, Schirmer U, Meister M,
Heinzmann-Groth I, Schneider M, Muley T, Thomas M, Sültmann H.
Sci Rep. 2016 Sep 19;6:33505. doi: 10.1038/srep33505.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter
Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist
ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das
DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu
10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
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