Eine neuartige Substanzklasse
wirkt sowohl gegen den AIDS-Erreger HIV als auch gegen antibiotikaresistente
MRSA-Bakterien. Diese beiden Krankheitserreger treten häufig gemeinsam auf.
Künftig – so die Hoffnung der Entdecker – könnten sie mit einem einzigen Medikament
bekämpft werden. Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische
Forschung Saarland (HIPS) haben sogenannte duale Wirkstoffe entwickelt, die das
Wachstum beider Erreger hemmen. Ihre Erkenntnisse darüber beschreiben sie in
der Fachzeitschrift Journal of Medicinal Chemistry. Das HIPS ist der
Saarbrücker Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) mit
Hauptsitz in Braunschweig. Es wurde im Jahr 2009 gemeinsam vom HZI und der
Universität des Saarlands gegründet.
Das Humane Immundefizienz-Virus
HIV gehört zu den gefährlichsten und verbreitetsten Krankheitserregern
weltweit. 37 Millionen Menschen tragen HIV in sich; im Jahr 2014 starben 1,2
Millionen daran. Mittlerweile lassen sich die Vermehrung des Erregers und das
Fortschreiten der Krankheit zwar durch eine Kombinationstherapie aufhalten,
doch zunehmend entwickeln die Viren Resistenzen und sprechen nicht mehr auf die
eingesetzten Medikamente an.
Ähnlich hartnäckig zeigen sich die
berüchtigten MRSA-Bakterien, methicillinresistente Staphylococcus aureus-Stämme,
gegen die mittlerweile viele gängige Antibiotika unwirksam sind. Gerade
HIV-Patienten, deren Immunsystem durch ihre Krankheit geschwächt ist, werden
vielfach noch zusätzlich von MRSA-Keimen befallen. Solche sogenannten
Koinfektionen sind äußerst problematisch und schwierig zu behandeln. „Sowohl
bei den Viren als auch bei den MRSA-Bakterien sind Resistenzen gegen die
gängigen Therapien verbreitet – das macht es besonders kompliziert, die
Koinfektion in den Griff zu bekommen“, erklärt der HZI-Wissenschaftler Prof.
Rolf Hartmann, Leiter der Abteilung Wirkstoffdesign und Optimierung am HIPS.
„Zudem muss man genau auf die Wechselwirkungen zwischen den verabreichten
Medikamenten achten.“
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Helmholtz-HZI/Britta Meyer
Schnitt durch die Schichten des HI-Virus mit Blick auf
das Erbmaterial im Inneren des Virus.
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Hier könnten die Ureidothiophen-Carbonsäuren
Abhilfe schaffen. Hinter diesem komplizierten Namen verbirgt sich eine Klasse
von Molekülen, die Chemiker und Biowissenschaftler am HIPS jetzt um einige neue
Varianten erweitert haben. Darunter finden sich neuartige Wirkstoffe, die die Vermehrung
sowohl von HIV als auch von MRSA effektiv blockieren. Das Interessanteste
daran: „Bisher bekannte resistente Stämme – sowohl bei den Viren als auch bei
den Bakterien – sind empfindlich gegen unsere dualen Wirkstoffe“, erklärt Walid
Elgaher vom HIPS. „Eine schädliche Wirkung auf menschliche Zellen konnten wir
bislang nicht feststellen.“
Viren und Bakterien sind zwar
biochemisch sehr unterschiedlich, dennoch lässt sich der Effekt, dass ihr
Wachstum durch einen einzigen Wirkstoff gehemmt werden kann, schlüssig
erklären. Sowohl die HI-Viren als auch die Bakterien benutzen für Wachstum und
Vermehrung bestimmte spezialisierte Enzyme, um ihre Erbinformation
„umzucodieren“ und gewissermaßen von einer Schreibweise in eine andere zu
übertragen. Die entsprechenden Enzyme – Eiweißmoleküle mit katalytischer
Wirkung – sind sich in Funktion und Aufbau ähnlich.
Bei den Bakterien übersetzt das
Enzym RNA-Polymerase die Erbinformation von Desoxyribonucleinsäure (DNA) in
Ribonucleinsäure (RNA), die dann wiederum den Bauplan für die wichtigsten
Bestandteile ihrer Zelle enthält. Der AIDS-Erreger HIV benötigt für seinen
Lebenszyklus das Enzym Reverse Transkriptase, das den umgekehrten Prozess
auslösen und RNA in DNA umwandeln kann.
Dass die RNA-Polymerase bestimmter
Bakterien und die Reverse Transkriptase des AIDS-Erregers ähnliche chemische
Bindungsstellen aufweisen – und damit möglicherweise auch gemeinsam blockiert
und lahmgelegt werden könnten – war Wissenschaftlern bereits vor einigen Jahren
aufgefallen. Am HIPS nutzte man diese Erkenntnis: „Wir haben mehrere Substanzen
entwickelt, die die RNA-Polymerase von Bakterien wie den MRSA hemmen können“,
erklärt HZI-Forscher Dr. Jörg Haupenthal. „Diese haben wir dann weiter
optimiert, sodass sie auch an die sehr ähnlichen Bindungsstellen der HI-Viren
andocken und sie dadurch blockieren.“
Die Wissenschaftler hoffen, dass
sich ihre Entdeckung künftig einmal für die klinische Anwendung nutzen lässt.
„Dazu muss allerdings sorgfältig geklärt werden, ob die Substanzen auch in der
Zelle und letztlich im menschlichen Patienten wirksam sind und ob sie nicht
doch unerwünschte Nebenwirkungen haben“, erklärt Rolf Hartmann. „Das erfordert
umfangreiche Studien und Entwicklungsarbeiten.“
Originalpublikation:
Walid A. M. Elgaher, Kamal Kant Sharma,
Jörg Haupenthal, Francesco Saladini, Manuel Pires, Eleonore Real, Yves Mély,
and Rolf W. Hartmann: Discovery and Structure-Based Optimization of 2
Ureidothiophene-3-Carboxylic Acids as Dual Bacterial RNA Polymerase and Viral
Reverse Transcriptase Inhibitors. J. Med. Chem. DOI: 10.1021/acs.jmedchem.6b00730
Über das Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von
Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern
macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente
und Impfstoffe liefern. www.helmholtz-hzi.de
Über das Helmholtz-Institut für
Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS):
Das Helmholtz-Institut für
Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) ist ein Standort des
Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und wurde im
Jahr 2009 vom HZI und der Universität des Saarlandes gegründet. Die Forscher
suchen hier insbesondere nach neuen Wirkstoffen gegen Infektionskrankheiten,
optimieren diese für die Anwendung am Menschen und erforschen, wie sie am
besten durch den Körper zum Wirkort transportiert werden können. www.helmholtz-hzi.de/HIPS
Über die Universität des
Saarlandes:
Die Saar-Universität ist
international bekannt durch die Informatikforschung und die Nano- und
Lebenswissenschaften. Allein in den Lebenswissenschaften, vor allem der
Medizin, Pharmazie und Biologie sowie den Naturwissenschaften, forschen über
600 Wissenschaftler auf dem Uni-Campus in Saarbrücken. Die engen Beziehungen zu
Frankreich und der Europa-Schwerpunkt sind weitere Markenzeichen. www.uni-saarland.de
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