Rohbau der
neuen zentralen Moschee in Bishkek, Kirgisistan
Foto: Yanti Hölzchen
Moscheen-Bau boomt in Kirgisistan
Der Islam
erlebt in Kirgisistan eine Revitalisierung: Seit die ehemalige Sowjetrepublik
1991 unabhängig wurde, kam es zu einem regelrechten „Boom“ im Moscheenbau, von
insgesamt 39 Moscheen im Jahr 1990 stieg die Zahl auf geschätzte 2300. Zudem
wachse das Bedürfnis nach Ausübung einer gemäßigten Form des Islam vor allem
bei Kirgisen in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren, so das Ergebnis
einer Feldstudie im Tübinger Sonderforschungsbereich „RessourcenKulturen".
Die Doktorandin Yanti Hölzchen hatte ein Jahr lang untersucht, welche Rolle die
Religion in der Umbruchphase spielt, in der sich das Land derzeit befindet.
Als
Kirgisistan 1991 unabhängig wurde, standen die Schaffung einer nationalen
Identität und die Rückkehr zu kirgisischen Traditionen im Vordergrund. Seit
einigen Jahren jedoch beherrscht ein reformierter Islam den Diskurs, der vor
allem aus der Türkei, Südasien und Saudi-Arabien importiert wird. Diese
Neuorientierung ist Gegenstand des genannten Forschungsprojektes unter Leitung
des Ethnologen Professor Roland Hardenberg im Sonderforschungsbereich
„RessourcenKulturen" der Universität Tübingen. Darin wird untersucht,
welche Rolle islamische Stiftungen, Religionsschulen und Moscheen als
Ressourcen für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen im heutigen
Kirgisistan spielen.
Zur Zeit der
Sowjetherrschaft wurde der Islam – wie alle Religionen ‒ unterdrückt. Moscheen
und religiöse Schulen wurden zerstört, religiöse Zusammenkünfte verboten,
islamische Gelehrte verfolgt und die Ausübung von Ritualen unterbunden. Gegen
Ende der Sowjetherrschaft gab es kaum noch Kirgisen, die über fundiertes Wissen
religiöser Praktiken und der heiligen Schriften verfügten. Muslim zu sein wurde
zunehmend zum ethnischen Merkmal: ein Kirgise war ein Muslim, auch wenn er
nicht an Gott glaubte oder etwa Alkohol trank. Dass sich dies in rasender
Geschwindigkeit ändert, ist an dem „Moscheenbau-Boom“ abzulesen, aber auch an
Kleidungspraktiken, (Alltags-) Ritualen und sozialen Beziehungen, die ebenfalls
Untersuchungsgegenstand sind.
Insgesamt
zwölf Monate führte Hölzchen ihre Feldforschungsarbeit in der Hauptstadt
Bishkek und im Nordosten Kirgisistans durch. Sie lebte in kirgisischen
Familien, besuchte Moscheen, Religionsschulen, theologische Fakultäten sowie
islamische Stiftungen. Zudem führte sie Interviews mit zahlreichen Imamen,
praktizierenden Kirgisen, Medienvertretern und Repräsentanten verschiedener
islamischer Einrichtungen. Im Zentrum stand die Frage, wie es zum intensiven
Moscheenbau vor allem in den letzten fünfzehn Jahren kam, und, welche Akteure
daran beteiligt sind.
So wurden
nahezu zwei Drittel der Moscheen im Forschungsgebiet durch Gelder aus Saudi
Arabien finanziert. Häufig jedoch wurde der Bau von den Dorfgemeinschaften
selbst angeregt, kirgisische Stiftungen fungierten hierbei als Mittelsmänner
zwischen Gemeinden und ausländischen Investoren. Auch der wirtschaftliche
Wandel des Landes schlägt sich hier nieder. Viele Kirgisen, die einen gewissen
Reichtum erlangt haben, konsolidieren ihren Status durch den Bau von Moscheen;
ebenso leisten Dorfbewohner gemeinschaftlich einen Beitrag, um eine
Dorf-Moschee zu errichten. Das Bedürfnis nach Gotteshäusern geht stark mit den
Möglichkeiten einher, die das seit 1991 geltende Gesetz zur Religionsfreiheit
eröffnet. Danach können islamische Akteure und Stiftungen aus dem Ausland ihre
Aktivitäten in Kirgistan durchführen oder Kirgisen im Ausland eine religiöse
Ausbildung absolvieren, sich in religiösen Netzwerken austauschen oder nach
Mekka pilgern. Über Moscheen, Religionsschulen, theologische Fakultäten sowie
die Aktivitäten von kirgisischen und ausländischen Stiftungen wird Wissen über
den Koran, islamische Moralvorstellungen und religiöse Praktiken vermittelt.
„Der Wunsch, sich dieses Wissen anzueignen, den Islam nach der Schrift zu
vermitteln und zu praktizieren, nimmt in Kirgisistan immer mehr zu, vor allem
unter Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren“, sagt Hölzchen.
Religiöses
Wissen wird so zur begehrten Ressource. Im Sinne des Sonderforschungsbereiches beschreibt
Hölzchen, wie religiöses Wissen neue Gemeinschaften und Zugehörigkeiten
schafft, aber auch bestehende soziale Beziehungen, Praktiken und
Wertvorstellungen verändert. So beobachtete sie beispielsweise, wie frühere
kirgisisch-islamische und stark gemeinschaftliche Traditionen zunehmend durch
neue, stärker an Koran und Scharia orientierte Praktiken verdrängt werden.
Insgesamt sei der Islam in Kirgisistan positiv konnotiert, so die
Wissenschaftlerin. „Die meisten Kirgisen sehen den Islam als friedliche
Religion, die zu moralisch besserem Verhalten anregt“, sagt Hölzchen. „Viele
wiesen in Gesprächen darauf hin, dass heute weniger Zigaretten und Alkohol
konsumiert werden, die Menschen weniger aggressiv seien. Allerdings ist auch
die Angst vor Terrorismus und Extremismus groß, viele Veranstaltungen, teils in
Zusammenarbeit mit internationalen NGOs, klären über extremistischen Islam
auf.“ Generell sei das Zusammenleben von Christen und Muslimen sehr friedlich.
„Ich würde Kirgisistan wünschen, dass die tolerante Atmosphäre, die ich dort
erleben durfte, auch künftig erhalten bleibt.“
Publikation in Vorbereitung: "Religious
education and cultural change – the case of madrasas in Northern
Kyrgyzstan"
Kontakt:
Alexandra
Niskios, M.A.
Universität
Tübingen
SFB 1070
RessourcenKulturen, Abteilung für Presse-und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon +49
7071 29-73586
alexandra.niskios[at]uni-tuebingen.de
Yanti
Hölzchen
SFB 1070
„RessourcenKulturen“, Universität Tübingen
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