Itkillik River frisst sich pro Jahr durchschnittlich 19
Meter tief in das tauende Ufer.
Bremerhaven, 26. Januar 2016. Die tauenden
Permafrostböden Alaskas kosten die USA laut Schätzungen mehrere 100 Millionen
Dollar pro Jahrzehnt – vor allem, weil Flughäfen, Straßen, Pipelines und
Siedlungen aufgrund absackender Böden und erodierender Uferlinien verlegt
werden müssen. Ein internationales Forscherteam hat nun am Itkillik River im
Norden Alaskas Flussufer-Erosionsraten gemessen, die alle bisherigen
Rekordwerte übertreffen. In einem Landstrich mit besonders viel Eis im Boden
frisst sich der Itkillik River pro Jahr 19 Meter tief in das Ufer, berichten
die Forscher in einer kürzlich erschienenen Studie im Fachmagazin
Geomorphology.
„Diese Ergebnisse zeigen, dass das Tauen von Permafrost
nicht ausschließlich langsam vonstatten geht, sondern seine Folgen auch
kurzfristig und unmittelbar spürbar werden“, sagt Permafrostforscher Dr. Jens
Strauss von der Potsdamer Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Institutes,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Er hatte gemeinsam mit Kollegen aus den USA, Kanada und
Russland den Itkillik River an einer Stelle untersucht, an welcher der Fluss
durch ein Plateau schneidet, dessen Untergrund zu 80 Prozent aus purem Eis und
zu 20 Prozent aus gefrorenen Sedimenten besteht. „Dieses Bodeneis ist 13.000
bis mehr als 50.000 Jahre alt, reicht säulenartig bis in eine Tiefe von mehr
als 40 Meter und hat die Uferzone des Flusses in der Vergangenheit
stabilisiert“, so Jens Strauss.
Wie die mehrjährige Forschungsarbeit der Wissenschaftler
jedoch ergab, versagen diese Stabilisationsmechanismen, wenn zwei Faktoren
aufeinandertreffen: (1) der Fluss über einen langen Zeitraum fließend Wasser
führt; (2) die Uferlinie aus einer Steilklippe besteht, deren Front Richtung
Süden zeigt und damit viel direktes Sonnenlicht abbekommt.
Jens Strauss: „Der schnelle und vor allem lang anhaltende
Zerfall dieser Klippe hat zwei Gründe. Zum einen ist das Flusswasser wärmer als
der Permafrost, lässt ihn tauen und transportiert das herabfallende Material
gleich ab. Dieser Abtransport geht besonders schnell vonstatten, wenn der
Eisanteil im Boden sehr hoch ist.“
Zum anderen taue die Klippe aufgrund der Sonnenlage.
„Auch wenn die Jahresdurchschnittstemperatur in dieser Region bei minus zwölf
Grad Celsius liegt, wird es in der Sonne so warm, dass im Sommer Eisklumpen und
Matsch in Strömen den Abhang hinabrutschen“, berichtet Studien-Erstautor
Mikhail Kanevskiy von der Universität Alaska Fairbanks.
Insgesamt zog sich die rund 700 Meter lange und 35 Meter
hohe Klippe im Zeitraum von 2007 bis 2011 um bis zu 100 Meter zurück. Dabei
ging eine Landfläche von rund 31.000 Quadratmetern verloren. Sie entspricht der
Größe von rund 4,3 Fußballfeldern. In Eis- und Erdmasse umgerechnet, trug der
Itkillik River pro Jahr 70.000 Tonnen Material davon – darunter 880 Tonnen
organisches Material (gebundener Kohlenstoff), das vorher im Permafrostboden
gespeichert war.
Die Wissenschaftler wurden zudem im August 2007 Zeuge,
wie sich innerhalb weniger Tage bis zu 100 Meter lange und 13 Meter tiefe Risse
im Plateau bildeten und ein 800 Quadratmeter großer Block in die Tiefe stürzte.
„Ein solcher Abbruch läuft nach einem festen Muster ab. Zuerst taut der Fluss
die Steilklippe an und spült eine Nische in ihren Sockel. Von dort ausgehend
bilden sich entlang der großen Eissäulen Risse im Boden. Der Block löst sich
anschließend Stück für Stück von der Klippe und stürzt ab“, erklärt Jens
Strauss.
Zum Glück liegt der Flussabschnitt mit den hohen
Erosionsraten in einer nahezu menschenleeren Gegend, sodass weder Dörfer noch
wichtige Bauten wie Straßen oder Brücken gefährdet sind. Jens Strauss gibt das
Ausmaß der Ufererosion dennoch zu denken: „Wie schnell sich eine Uferlinie
zurückzieht, hängt in den Permafrostgebieten vom Eisgehalt im Boden und den
geografischen Gegebenheiten ab. Angesichts der steigenden
Durchschnittstemperatur in der Arktis zeigt unser Beispiel am Itkillik River
aber schon mal, welches Tempo die Erosion aufnehmen kann.“
Nun gilt es, dieses neue Wissen zum Beispiel bei der
Planung neuer Siedlungen, Stromtrassen oder Verkehrsadern zu berücksichtigen.
„Außerdem beeinträchtigt die Erosion die Wasserqualität der Flüsse. Ein Fakt,
der vor allem für jene Gemeinden zum Problem werden kann, die ihr Trinkwasser
gewinnen, indem sie das Flusswasser aufbereiten“, sagt Jens Strauss.
Hinweise für Redaktionen:
Die Studie ist unter folgendem Titel im Fachjournal
Geomorphology erschienen:
• Mikhail
Kanevskiy, Yuri Shur, Jens Strauss, Torre Jorgenson, Daniel Fortier, Eva
Stephani, Alexander Vasiliev: Patterns and rates of riverbank erosion involving
ice-rich permafrost (yedoma) in northern Alaska, Geomorphology,
doi:10.1016/j.geomorph.2015.10.023 (Web-Link: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0169555X15301872
)
Ihr wissenschaftlicher Ansprechpartner am
Alfred-Wegener-Institut in Potsdam ist:
• Dr. Jens
Strauss (Tel: +49 (0)331 288 - 2173; E-Mail: Jens.Strauss@awi.de)
Ihre Ansprechpartnerin in der Abteilung Kommunikation und
Medien ist Sina Löschke (Tel: +49 (0)471 4831 - 2008; E-Mail: medien@awi.de).
Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis,
Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die
Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den
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