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Neue Untersuchungen bei Mäusen zeigen, dass es für eine
effektive Prävention auf das richtige Timing ankommt
Köln/Bonn, 23. November 2015 – Bestimmte Formen der
Epilepsie können bereits in den ersten Lebenswochen auftreten. Eine Laborstudie
zeigt nun, dass eine vorbeugende Therapie erfolgreich sein kann, sofern sie
innerhalb eines für die Hirnentwicklung kritischen Zeitfensters durchgeführt
wird. Das berichtet ein deutsch-französisches Forscherteam um Prof. Dirk
Isbrandt vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und
der Universität zu Köln im Fachjournal „Nature Medicine“. Bei neugeborenen
Mäusen gelang es den Wissenschaftlern mit Hilfe des Wirkstoffs „Bumetanid“ die
Auswirkungen der Erkrankung so zu begrenzen, dass sich die Tiere weitgehend
normal entwickelten. Langfristig könnten diese Forschungsergebnisse den Weg für
neue Behandlungsoptionen beim Menschen bereiten.
Isbrandt und seine Kollegen untersuchten Mäuse mit einem
Gendefekt, der in ähnlicher Weise auch beim Menschen vorkommt und schon bei
Neugeborenen eine Epilepsie auslösen kann. Denn diese Mutation führt dazu, dass
in der Hülle der Nervenzellen winzige Schleusen nicht richtig funktionieren und
die Kommunikation zwischen den Zellen gestört wird. Mögliche Symptome sind
krampfartige oder zuckende Bewegungen, aber auch weitaus subtilere
Verhaltensstörungen können auftreten. Zwar gibt es milde Verlaufsformen, doch
häufig entwickelt sich ein Krankheitsbild mit schweren Schäden der geistigen
Fähigkeiten.
„Dieser Gendefekt wirkt sich auf einen sogenannten
Ionenkanal in der Zellmembran aus, der Kv7-Kanal oder auch M-Kanal genannt
wird. Durch diesen Defekt gerät das Ionengleichgewicht durcheinander. Das beeinflusst
die Erregbarkeit der Nervenzellen“, erläutert Isbrandt, der für das DZNE und
als Professor für Experimentelle Neurophysiologie auch an der Universität zu
Köln forscht. „Epilepsien bei Neugeborenen können unter anderem durch
Sauerstoffmangel, Hirnblutungen oder Infektionen ausgelöst werden. Gibt es kein
Geburtstrauma, dann sind häufig Mutationen des Kv7-Kanals oder eines anderen
Ionenkanals die Ursache. Die Anfälle dieser Patienten sind bisher therapeutisch
kaum in den Griff zu bekommen.“
Studien an Mäusen
Aus einer vorherigen Studie an Mäusen wussten die
Wissenschaftler, dass der Kv7-Kanal für die frühe Entwicklung des Gehirns
besonders wichtig ist. Isbrandt: „Entscheidend sind die ersten beiden Wochen
nach der Geburt der Maus. Im Erwachsenenalter hat sich die Physiologie des
Gehirns dann so weit verändert, dass dieser Kanal eine weniger wichtige Rolle
spielt.“
Hier setzten die Forscher jetzt an: Sie behandelten Mäuse
mit einer Mutation des Kv7-Kanals während der ersten beiden Lebenswochen mit „Bumetanid“.
Dieser Wirkstoff kann Nervenzellen helfen, ihr Ionengleichgewicht zu bewahren.
Das war bereits bekannt. Doch in diesem Fall entpuppte sich Bumetanid als noch
wirkungsvoller als erwartet: Die Fehlfunktion des Kv7-Ionenkanals wurde nahezu
vollständig kompensiert.
Das korrekte Timing
Denn die vorübergehende Behandlung normalisierte die
Hirnaktivität der Mäuse und weitgehend auch deren Verhalten. Im
Erwachsenenalter blieben epileptische Anfälle aus, obwohl der Gendefekt
weiterhin vorlag. „Die zweiwöchige Therapie konnte die Auswirkungen der
gestörten Kv7-Funktion nahezu komplett verhindern, weil wir präventiv und zum
richtigen Zeitpunkt in die Entwicklung des Gehirns eingegriffen haben“,
resümiert der Forscher.
Dagegen entwickelten nicht behandelte Artgenossen mit dem
gleichen Genfehler eine dauerhafte Epilepsie: Ihre Hirnaktivität war gestört,
die Hirnstruktur verändert. Die erkrankten Tiere zeigten Hyperaktivität und
andere Verhaltensauffälligkeiten.
Anknüpfungspunkte für die Therapie beim Menschen
Bumetanid ist bei erwachsenen Menschen zur Therapie von
Nieren- und Herzerkrankungen zugelassen. Außerdem gibt es Studien zur
Behandlung epileptischer Anfälle bei Neugeborenen. Diese zielen allerdings
nicht auf Vorbeugung, sondern darauf, die akuten Symptome zu mildern.
„Wir wollten herausfinden, wie Prävention prinzipiell
funktionieren kann. Unsere Studie belegt, dass es auf das Timing ankommt“, so
Isbrandt. „Diese Ergebnisse bekräftigen daher einen strategischen Ansatz. Es
geht darum, die kritische Phase der Hirnentwicklung zu identifizieren, in der
eine Behandlung den maximalen Erfolg bringt. Erkenntnisse darüber könnten auch
für die Therapie beim Menschen hilfreich sein.“
Möglicherweise müsste die Behandlung aber früher ansetzen
als bei Mäusen, was an der unterschiedlichen Geschwindigkeit der
Hirnentwicklung liegt. „Die ersten beiden Wochen nach der Geburt einer Maus
entsprechen beim Menschen ungefähr dem letzten Schwangerschaftsdrittel“, so
Isbrandt. „Insofern müsste eine Therapie beim Menschen vermutlich schon im
Mutterleib beginnen. Das ist aus heutiger Sicht noch sehr weit hergeholt.
Naheliegender wäre es, Frühgeborene mit einem hohen Epilepsie-Risiko zu
behandeln. Ob sich dieser Gedanke praktisch umsetzen lässt, muss sich aber erst
noch herausstellen.“
Diese Forschungsarbeiten wurden unter anderem vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des
Förderschwerpunkts „NGFN-Plus“ und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) gefördert.
Originalveröffentlichung
„Treatment during a vulnerable developmental period
rescues a genetic epilepsy“, Stephan Lawrence Marguet, Vu Thao Quyen
Le-Schulte, Andrea Merseburg, Axel Neu, Ronny Eichler, Igor Jakovcevski, Anton
Ivanov , Ileana Livia Hanganu-Opatz, Christophe Bernard, Fabio Morellini, Dirk
Isbrandt, Nature Medicine, DOI: 10.1038/nm.3987
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und
entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege. Es ist eine
Einrichtung in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren mit
Standorten in Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München,
Rostock/Greifswald, Tübingen und Witten. Das DZNE kooperiert eng mit
Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen.
Web: www.dzne.de |
Twitter: @dzne_de | Facebook: www.dzne.de/facebook
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