Tübinger
Wissenschaftler fahndet an Fossilien der Jehol-Gruppe aus dem Nordosten Chinas
nach den Vorfahren heute lebender Arten
Heutige
Meeresschildkröten sind die einzigen Überlebenden eines einst an
Meeresreptilien sehr reichen Ökosystems aus der Zeit der Dinosaurier. Sie
stammen aus der Kreidezeit vor 130 bis 140 Millionen Jahren und haben sich
wahrscheinlich aus Vorfahren entwickelt, die im Süßwasser lebten. Diese sind
jedoch bisher nicht entdeckt worden. In einer neuen Studie versuchen Dr. Chang-Fu Zhou von der Shenyang Normal University of
Liaoning und Dr. Márton Rabi aus der Arbeitsgruppe Biogeologie der
Universität Tübingen und der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Vorfahren
heutiger Meeresschildkröten unter Fossilien der Jehol-Gruppe aus dem Nordosten
Chinas zu finden. Die Studie wurde kürzlich in den Scientific Reports
veröffentlicht.
Als
Jehol-Gruppe werden reiche Funde eines kreidezeitlichen Ökosystems aus einem
mehrschichtigen Gesteinsblock bezeichnet, der sich in den chinesischen
Provinzen Liaoning, Hebei und der Inneren Mongolei erstreckt. Vor rund 125
Millionen Jahren wurde dort eine ganze Reihe von Lebewesen konserviert. Die
Fundstelle ist durch die Entdeckung gefiederter Dinosaurierfossilien bekannt,
welche die Abstammung heutiger Vögel von Dinosauriern belegten. Der erste Fund
eines Wirbeltiers, der 1942 aus der Jehol-Gruppe beschrieben wurde, war jedoch
eine von vielen dort zu findenden Schildkröten.
In der aktuellen Studie beschreiben Zhou und Rabi eine neue
Schildkrötenart aus der Jehol-Gruppe, Xiaochelys
ningchengensis, und
untersuchten ihr Verwandtschaftsverhältnis zu heutigen Meeresschildkröten. Sie
verwendeten dabei vergleichende Untersuchungen der Morphologie, also der
Gestalt und Form, sowie früher gewonnene genetische Daten lebender Arten und
erstellten einen umfassenden Abstammungsbaum der modernen Schildkröten.
Die Forscher untersuchten die früher
aufgestellte Hypothese, dass die Jehol-Schildkröten zu einer Abstammungslinie
gehören, die später in der Evolution die heutigen Meeresschildkröten
hervorbrachte. „Nach unseren Ergebnissen sind die
Jehol-Schildkröten stattdessen aber eher auf der Abstammungslinie einzuordnen,
die zu den sogenannten Halsberger-Schildkröten führt”, sagt Zhou. Die Halsberger-Schildkröten
(Cryptodira), unter ihnen auch die Meeresschildkröten, können ihren Kopf und
Hals in einer S-förmigen Bewegung senkrecht zum Panzer einziehen. „Jedoch
erscheint es statistisch gesehen nur wenig schlechter abgesichert, dass sie
evolutionär nahe den Meeresschildkröten zu platzieren sind“, fügt Rabi hinzu.
Daher gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die frühesten bekannten
Meeresschildkröten den Arten aus der Jehol-Gruppe sehr ähnlich gesehen haben
müssen.
„Durch die besonders
gute Konservierung der Fossilien erhalten wir Einblicke in die Abstammung der
Halsberger-Schildkröten. Zu ihnen gehören rund drei Viertel der heute noch
lebenden Schildkrötenarten“, sagt Chang-Fu Zhou. Die Studie mache deutlich,
dass die Entstehung der hauptsächlichen Anpassungen der Meeresschildkröten noch
unklar ist. Dazu gehört das reduzierte
Skelett und die zu großen, steifen Paddeln erweiterten Flossen, die ihnen eine
Fortbewegung ermöglichen, die an ein Fliegen unter Wasser erinnert. „Der
Ursprung der Meeresschildkröten war einer der großen morphologischen Übergänge
in der Evolution der Wirbeltiere. Wie das vor sich ging, ist aber noch
weitgehend unklar. Es war eine sehr erfolgreiche
Anpassung, und es ist wirklich deprimierend zu sehen, dass diese letzten Überlebenden
der Meeresreptilien nach mehr als 130 Millionen nun vom Aussterben bedroht
sind”, sagt Rabi.
Originalpublikation:
Chang-Fu
Zhou, Márton Rabi: A sinemydid turtle from the Jehol Biota provides insights
into the basal divergence of crown turtles. Scientific Reports, 5, 16299, DOI
10.1038/srep16299
Kontakt:
Dr.
Márton Rabi
Universität
Tübingen – Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Arbeitsgruppe
Biogeologie
Ungarische
Akademie der Wissenschaften
Telefon
+49 7071 29-73055
iszkenderun[at]gmail.com
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