Hochbegabungspresse
Bauchschmerzen, Fieber, Durchfall – hinter diesen Symptomen
kann eine Infektion mit Yersinia enterocolitica stecken. Die
krankmachende Wirkung dieser Bakterien beruht auf einem Injektionsapparat,
ähnlich einer Spritze. Ein internationales Forscherteam mit Beteiligung des
Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig hat erstmals
die räumliche Struktur dieser molekularen Spritze entschlüsselt. Ihre Ergebnisse
zeigen, dass sich die Länge des sogenannten Injektosoms ändern kann –
vermutlich eine Anpassung von Yersinia auf physikalischen Stress.
Das stäbchenförmige Bakterium Yersinia enterocolitica,
das wir insbesondere über verunreinigte Nahrung aufnehmen, verursacht
Magen-Darm-Erkrankungen. Mehrere Tausend Fälle werden jährlich in Deutschland
gemeldet. Yersinien nutzen ein raffiniertes Werkzeug, um den Menschen zu
infizieren – das Injektosom. Er sieht nicht nur wie eine Spritze aus, sondern
erfüllt auch denselben Zweck. Eine molekulare „Nadel“ ragt aus dem Bakterium
heraus und reicht über die Bakterienhüllen bis in die Wirtszelle. Über diese
Kanüle „spritzen“ Bakterien Wirkstoffe, die ihnen die Infektion erleichtern, in
die Wirtszelle. Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern des HZI, des
Biozentrums der Universität Basel, Schweiz, und der Ecole Polytechnique
Fédérale de Lausanne, ebenfalls Schweiz, präsentierte nun erstmals die Struktur
des Injektionsapparates von Yersinia enterocolitica, dreidimensional und
hochaufgelöst. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der digitalen
Fachzeitschrift eLife.
Ihr innovativer Ansatz ermöglichte überraschende Ergebnisse.
In früheren Studien hatten Wissenschaftler die molekularen Spritzen aus den
Bakterien isoliert und unter dem Elektronenmikroskop studiert. „Wir haben
dagegen den Injektionsapparat in situ untersucht, also dort, wo er
normalerweise vorkommt, nämlich am Bakterium“, erklärt Prof. Henning Stahlberg,
Universität Basel. Dazu kühlten die Wissenschaftler die Bakterien auf bis zu
-193 °C und fotografierten mithilfe der sogenannten Kryo-Elektronenmikroskopie
die Spritzen aus verschiedenen Richtungen. Anschließend berechneten sie aus
einer großen Zahl zweidimensionaler Bilder eine räumliche Struktur. Dies ist
eine sehr effektive Methode, um große Molekülkomplexe zu untersuchen. Dazu
zählt die Spritze, die aus rund 30 Proteinen besteht, in jedem Fall.
Beim Vergleich von über 2000 Spritzen von etwa 300
untersuchten Bakterien stellten die Forscher Erstaunliches fest: „Die Länge der
Basis der einzelnen Injektionsapparate schwankt stark, teils um rund zehn
Nanometer, also zehn Millionstel eines Millimeters. Sie kann – wie eine Feder –
gedehnt oder gestaucht werden“, berichtet Dr. Stefan Schmelz, HZI, einer der
Erstautoren der Studie. So winzig uns solche Dimensionen erscheinen mögen – für
ein Bakterium, das selbst nur etwa hundertmal so groß ist, sind sie
beträchtlich. „Bakterien sind erheblichen Kräften ausgesetzt, sei es beim
Kontakt mit anderen Zellen oder wenn sich beispielsweise der Salzgehalt der
Umgebung ändert“, erklärt Prof. Dirk Heinz, wissenschaftlicher Geschäftsführer
des HZI und ehemaliger Leiter der Abteilung „Molekulare Strukturbiologie“ am
HZI. „Wären die Injektionsapparate starr aufgebaut, könnten die Bakterien
diesen Kräften vermutlich nicht standhalten. Ihre Zellhüllen würden aufreißen.“
Kenntnisse über den Aufbau der Angriffswerkzeuge von Yersinia
geben Hinweise, wie die molekularen Spritzen therapeutisch gehemmt werden
könnten. Ohne diesen Apparat sind die Bakterien fast harmlos. „Auch einige
andere krankmachende Bakterien nutzen dieses Prinzip bei der Infektion,
beispielsweise Erreger von Lebensmittelvergiftungen“, so Dr. Mikhail
Kudryashev. Er ist ebenfalls Erstautor und forscht an der Universität Basel.
Für Shigellen, Verursacher der Bakterienruhr, konnte das Forscherteam bereits
dieselbe Flexibilität nachweisen. Der „molekulare Baukasten“, wie Schmelz ihn
bezeichnet, ist hier sehr ähnlich und so können die Erkenntnisse dieser Studie
vermutlich auf weitere bakterielle Krankheitserreger übertragen werden.
Originalpublikation:
Mikhail Kudryashev*, Marco Stenta*, Stefan Schmelz*, Marlise
Amstutz*, Ulrich Wiesand*, Daniel Castaño-Díez, Matteo T Degiacomi, Stefan
Münnich, Christopher KE Bleck, Julia Kowal, Andreas Diepold, Dirk W Heinz,
Matteo Dal Peraro, Guy R Cornelis, Henning Stahlberg
*Diese Autoren haben gleichermaßen zu der Studie
beigetragen.
In situ
structural analysis of the Yersinia enterocolitica injectisome
eLife,
2013, DOI: http://dx.doi.org/10.7554/elife.00792
Die Abteilung "Molekulare Strukturbiologie"
untersucht die räumliche Struktur und die Funktion einzelner Moleküle. Dazu
nutzt sie moderne Techniken wie die Röntgenstrukturanalyse, die
Kernresonanzspektroskopie (NMR) und die Massenspektrometrie. Im Fokus stehen
sowohl Biomakromoleküle als auch niedermolekulare Naturstoffe.
Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr.
Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den
Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern.
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