Hochbegabungspresse
– 63. Lindauer Nobelpreisträgertagung
in der ersten Juliwoche
– 35 Laureaten und über 600
Nachwuchswissenschaftler aus fast 80 Ländern
Ein starkes Signal für wirksamere und verträglichere Medikamente
erhoffen sich viele. Hohe Erwartungen waren seit Mitte der achtziger Jahre mit
der Entschlüsselung des genetischen Bauplans von G-Protein-gekoppelten
Rezeptoren (GPCRs) verbunden, denn die Hälfte aller Medikamente entfaltet ihre
Wirkung über diese molekularen Antennen. Sie sind auf besondere Weise in der
Oberfläche unserer Körperzellen verankert, winden sich sieben Mal durch die
Zellmembran und aktivieren an deren Innenseite sogenannte G-Proteine. Diese
leiten die Signale der meisten Hormone und Nervenbotenstoffe weiter. Ohne GPCRs
könnten wir weder sehen noch schmecken oder riechen. Es war der amerikanische
Arzt Brian Kobilka, der 2012 gemeinsam mit Robert Lefkowitz für die Entdeckung
und Strukturaufklärung von GPCRs mit dem Chemienobelpreis ausgezeichnet wurde.
Die Zulassungszahlen innovativer Arzneimittel, die über GPCRs wirken, blieben
bislang jedoch hinter den Erwartungen zurück. Zur Eröffnung des
wissenschaftlichen Programms der 63. Lindauer Nobelpreisträgertagung in der
ersten Juliwoche wird Brian Kobilka in seinem Vortrag die Herausforderungen und
Schwierigkeiten erläutern, vor denen die Arzneimittelforschung steht. Nicht nur
die an der Tagung teilnehmenden 600 Nachwuchswissenschaftler interessiert,
welche Bedeutung die relativ junge Kenntnis von der räumlichen Struktur und der
dreidimensionale Funktionsweise der GPCRs für die Zukunft der
Medikamentenentwicklung haben könnte.
Als Medizinstudent arbeitete Brian Kobilka auf der Intensivstation
eines Krankenhauses und lernte unter anderem, wie das Hormon Adrenalin
beispielsweise durch die Steigerung der Herzfrequenz Menschenleben retten kann.
Erst wenige Jahre zuvor war es Robert Lefkowitz erstmals gelungen,
Adrenalinrezeptoren nachzuweisen, deren Existenz bis dahin umstritten war. Das
Thema faszinierte Kobilka und er entschloss sich, diese Rezeptoren weiter zu
erforschen. Als Postdoktorand im Labor von Lefkowitz trug Kobilka dazu bei, den
genetischen Bauplan des beta2-Adrenalinrezeptors zu entschlüsseln. Es ließen
sich jedoch nur winzige Mengen des Rezeptors isolieren, sodass sein kompletter
Bauplan nur bruchstückhaft rekonstruiert werden konnte. Kobilka gelang es jedoch,
diese Bruchstücke als Sonden in einer Gen-Bibliothek zu verwenden und die
komplette Struktur des beta2-Adrenalinrezeptor-Gens nach einer ebenso kreativen
wie mühsamen Methode zu entschlüsseln. Das 1986 publizierte Ergebnis dieser
Analysen war verblüffend: Der Adrenalinrezeptor glich dem Rhodopsin, dem
siebenfach gefalteten Lichtrezeptor der Netzhaut. Offenbar waren beide
Rezeptoren trotz völlig verschiedener Funktionen verwandt – als Mitglieder der
GPCR-Familie, die nach heutigem Wissensstand beim Menschen fast 800
verschiedene Rezeptoren umfasst.
Fortan ließen die GPCRs Brian Kobilka nicht mehr los. Mit
„irrationalem Optimismus“, wie er sagt, setzte er sich in den Kopf, auch die
Form und Funktionsweise des Adrenalinrezeptors mit Hilfe der Röntgenkristallographie
aufzuklären. Viele Konkurrenten hatte er anfangs nicht, denn sein Unterfangen
galt als aussichtslos. 18 Jahre dauerte es, bis Kobilka im Jahr 2004 winzige
Kristalle des Rezeptors gezüchtet hatte. Diese lieferten jedoch noch keine
brauchbaren Strukturdaten. Erst weitere drei Jahre später, im Jahr 2007, konnte
Kobilka auch die atomare Struktur des Adrenalinrezeptors entschlüsseln. 2011
gelang ihm sogar die Visualisierung der Struktur eines Rezeptors in Aktion –
ein Meisterwerk.
Die Kenntnis dieser räumlichen Struktur und Funktionsweise
eröffnet Arzneimittelforschern erstmals einen direkten Zugang zum atomaren
Gerüst von GPCRs. Die meisten Medikamente, die über GPCRs wirken, waren bereits
bekannt, bevor man die Rezeptorfamilie selbst entdeckte. Ihre genetische
Entschlüsselung machte dann während der vergangenen zwei Jahrzehnte eine
intensive Suche nach neuen Medikamenten im Hochdurchsatz-Screening möglich.
Viele der dabei entdeckten Substanzen erwiesen sich jedoch in der weiteren
Entwicklung als nicht wirksam oder verträglich genug. Eine passgenaue,
differenzierte Konstruktion von Wirkstoffen könnte das ändern – durch die
Aufklärung von GPCR-Strukturen ist sie in Reichweite gerückt. Inwiefern das die
Arzneimittelforschung beflügeln könnte, wird Brian Kobilka auf der 63. Lindauer
Nobelpreisträgertagung mit Nachwuchswissenschaftlern diskutieren.
Seit 1951 bieten die alljährlichen Lindauer
Nobelpreisträgertagungen Wissenschaftlern ein weltweit beachtetes Forum für den
Austausch und die Vernetzung. Der Generationendialog zwischen Nobelpreisträgern
und Nachwuchswissenschaftlern liefert wichtige Impulse und neue Ideen für die
internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung.