Hochbegabungspresse
Zehn Jahre bevor die Fachwelt überhaupt
einen Begriff für das Phänomen hatte, erforschten Wissenschaftler am
Alfred-Wegener-Institut bereits die Ursachen der Ozeanversauerung. Früh hatten
sie erkannt, dass der steigende Anteil von Kohlendioxid in der Luft auch die
Chemie der Ozeane verändern würde. Jetzt wollen sie herausfinden, wie sich das
saurere Meerwasser auf seine Bewohner auswirkt – und letztlich auch auf uns
Menschen.
Die Ozeane sind die
blauen Lungen unseres Planeten. Sie entziehen der Luft jährlich mehr als 25
Prozent des Kohlendioxids, das wir freisetzen. Seit Beginn der industriellen
Revolution haben sie rund die Hälfte dieses Treibhausgases aufgenommen, das wir
Menschen aus Auspuffrohren und Schloten in die Atmosphäre gepustet haben. Ohne
diesen natürlichen Speicher wäre die Kohlendioxidkonzentration in der Luft
heute sehr viel höher und es wäre auf der Erde um einiges wärmer.
Doch selbst die
weitläufigen Ozeane können nicht folgenlos unbegrenzte Menge an Kohlenstoff
aufnehmen. Wie alle Gase löst sich Kohlendioxid in Wasser, anders als die
meisten Gase reagiert es jedoch auch damit – zu Kohlensäure. Je mehr
Kohlendioxid in die Meere eindringt, desto mehr Kohlensäure bildet sich. Dieser
Vorgang wirkt sich auf die Chemie des Meerwassers aus und senkt seinen pH-Wert.
Sinkender pH-Wert
Der pH-Wert gibt an,
ob eine Flüssigkeit sauer, basisch oder neutral ist. Mit einem
durchschnittlichen pH-Wert von 8,2 ist Meerwasser typischerweise leicht
basisch. Dieser Wert ist aber über die letzten zweihundert Jahre auf 8,1
gesunken. „Das mag nicht nach viel klingen, aber die pH-Werte sind
logarithmisch, also mathematisch gestaucht. Das heißt, wenn der pH-Wert um 0,1
Einheiten sinkt, wird das Meerwasser um 30 Prozent saurer“, erklärt Prof. Jelle
Bijma, Biogeochemiker am Alfred-Wegener-Institut. Bis zum Jahr 2100 wird der
pH-Wert der Ozeane voraussichtlich um weitere 0,3 bis 0,4 Einheiten sinken und
das Meerwasser so um 100 bis 150 Prozent saurer werden. Das heißt nicht, dass
die Ozeane tatsächlich zu einer Säure werden. Auch bei Werten um 7,7 bleiben sie
basisch, doch sind sie ‑relativ gesehen- saurer als zuvor. Aus diesem Grund
spricht man von Ozeanversauerung.
Inwieweit der stetig zunehmende
Kohlendioxid-Ausstoß die Ozeane chemisch beeinflusst, können Wissenschaftler
wie Jelle Bijma mit großer Sicherheit voraussagen. „Es handelt sich um ein
einfaches chemisches Gleichgewicht das mit Hilfe von globalen Ozeanmodellen
berechnet werden kann“. Weit weniger wissen die Forscher darüber, wie sich die
Ozeanversauerung auf die Meereslebewesen und das „Ökosystem Meer“ auswirken
wird.
Auswirkungen auf kalkbildende
Meeresbewohner
Die Forscher nehmen
an, dass vor allem Organismen mit Kalkschalen und Skeletten, wie Korallen und
Muscheln unter zunehmender Ozeanversauerung leiden werden. „Kohlensäure
reduziert unter anderem den Gehalt an Karbonat-Ionen, einem der Bestandteile
des Kalks. Aber auch der erniedrigte pH-Wert steht im Verdacht, die Kalkbildung
bei Muscheln und anderen Organismen zu behindern. Sie müssen dann mehr Energie
aufbringen, um ihre Gehäuse zu bauen“, erklärt der Biologe Dr. Björn Rost vom
Alfred-Wegener-Institut. Ab einem bestimmten pH-Wert fehlt jedoch nicht nur der
Baustoff und die Kalkbildung wird immer schwieriger, sondern die Kalkschalen
beginnen sogar sich aufzulösen. Gleich einem Haus, dem die tragenden Säulen entrissen
werden, bricht das Schalengehäuse dann zusammen.
Wie sich die
Ozeanversauerung auf einzelne Lebewesen auswirkt, zieht weitreichende Folgen
für das gesamte Ökosystem nach sich: angefangen von der Nahrungskette bis hin
zum Kohlenstoffgehalt in der Atmosphäre. „Kalkbildende Algen beispielsweise
bauen durch die Photosynthese Biomasse auf. Zusätzlich speichern sie aber auch
Kohlenstoff in den Kalkschuppen ihres Gehäuses. Sterben sie, sinken sie in die
Tiefe. Dabei wirkt das schwere Kalkmaterial als Ballast und ermöglicht den
Transport von mehr Kohlenstoff in größere Tiefen“, sagt Dr. Sebastian Rokitta,
Biologe in der Arbeitsgruppe von Björn Rost. Ein Teil des Kohlenstoffs erreicht
den Meeresboden und bildet über geologische Zeiträume Kalkablagerungen wie etwa
die Kreidefelsen von Rügen. Greift die Ozeanversauerung jedoch die Kalkgehäuse
der Algen an, wird der Ballasteffekt vermindert und die
Kohlenstoff-Speicherfunktion der Ozeane geschwächt.
Doch auch höher entwickelte
Meeresbewohner wie Fische reagieren auf niedrigere pH-Werte. Das saurere Wasser
beeinflusst ihre Entwicklung vor allem in den ersten Lebensstadien – also dann,
wenn der Fischnachwuchs im Ei und als Larve noch keine Mechanismen entwickelt
hat, die ihn vor der Ozeanversauerung schützen. „Australische Forscher haben
entdeckt, dass saureres Wasser den Geruchsinn junger Clown-Fische
beeinträchtigt. Anstatt vor Fressfeinden zu fliehen, fühlen sie sich auf einmal
zu ihnen angezogen“, sagt Biophysiker Dr. Christian Bock vom
Alfred-Wegener-Institut.
Der Kohlenstoffkreislauf kommt aus dem
Gleichgewicht
Aufgrund ihrer
weitreichenden Auswirkungen gilt die Ozeanversauerung deshalb auch als böser
Zwilling der Klimaerwärmung. Tatsächlich entspringen beide Prozesse demselben
Problem: der Störung des natürlichen Kohlenstoffkreislaufes. Dieser beschreibt
den ständigen Austausch von Kohlenstoff zwischen der Atmosphäre, Pflanzen an
Land und den Ozeanen. Mit diesem Kreislauf stellt die Natur ein Gleichgewicht
zwischen Luft, Land und Wasser her. Dieses Kohlenstoffgleichgewicht hat der
Mensch ins Wanken gebracht, indem er fossile Rohstoffe wie Öl und Kohle
verbrannt und Wälder abgeholzt hat und beides bis heute in großem Maßstab
betreibt.
Bereits Anfang der Neunziger Jahre
erforschten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachbereiche
des Alfred-Wegener-Institutes, wie sich der Kohlenstoffkreislauf durch den
Einfluss des Menschen verändert hat und wie sich dies auf die Meere auswirkt.
Doch erst zehn Jahre nachdem die Arbeitsgruppe ihre Forschung begann, wurde der
Begriff Ozeanversauerung geprägt und schenkte damit dem Phänomen auch mehr
Aufmerksamkeit.
Seitdem steigt das
wissenschaftliche und öffentliche Interesse. Gerade noch rechtzeitig, könnte man
sagen, um die ersten tiefgreifenden Veränderungen in den Polarmeeren zu
untersuchen. „In der Arktis und Antarktis wird sich zuerst zeigen, wie die
Ozeanversauerung die Ökosysteme verändert. Denn Kohlendioxid löst sich am
besten in kaltem Wasser“, erklärt Physiologe Dr. Felix Mark vom
Alfred-Wegener-Institut. Wissenschaftler vermuten, dass bereits in diesem
Jahrzehnt das Meer in Teilen der Arktis so viel Kohlenstoff aufgenommen haben
wird, dass sich die Gehäuse kalkbildender Lebewesen langsam auflösen.
Doch die Ozeanversauerung betrifft nicht
nur die Polarregionen. Schon bald werden auch der Tourismus und die Fischerei
ihre Auswirkungen spüren, wenn Korallenriffe schwinden und Fischbestände sich
verändern. Deshalb steht die Ozeanversauerung „im Fokus“ vieler Wissenschaftler
am Alfred-Wegener-Institut. Einige ihrer Projekte werden in dieser Rubrik
vorgestellt.
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Meeresforschung
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